Die Schnecke Bundesrepublik

■ Eine vergleichende Studie zu Frauenerwerbsbeteiligung erklärt die extrem geringe Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit in der alten BRD

Die Bundesrepublik ist im Vergleich zu den westlichen Industrieländern oft ganz vorne. Sie gehört – bis dato – zu den wirtschaftlich reichen, politisch stabilen und in sozialpolitischer Hinsicht kompetenten Ländern. Doch wenn es um die Verminderung von geschlechtsspezifischer Ungleichheit geht, erweist sich der Elefant Deutschland geradezu als langsame Schnecke. So hat sich die Frauenerwerbsbeteiligung im Zeitraum von 25 Jahren (1960 bis 1985) um ganze 1,1 Prozent nach oben bewegt. Noch immer geht in der BRD nur ungefähr jede zweite Frau einer bezahlten (!) Arbeit nach.

Die Entwicklung der westlichen Industrieländer, die in der Fachwelt mit „Feminisierung der Erwerbsbeteiligung“ bezeichnet wird, hat in der (alten) Bundesrepublik nicht stattgefunden. Woher kommt diese bemerkenswert kontinuierliche Benachteiligung der Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt? Und wieso ist die Frauenerwerbsquote (FEQ) in anderen Ländern, den skandinavischen beispielsweise, im genannten Zeitraum rasant angestiegen? Eine neue Studie von Prof. Manfred G. Schmidt, geschäftsführender Direktor des Instituts für politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg und einziger männlicher Forscher zu diesem Thema, gibt darauf klare Antworten.

Schmidt hat die in der Literatur diskutierten, gängigen Thesen auf ihre Aussagekraft hin überprüft. Ziel war, ein Erklärungsbündel zu finden, das auf 18 westliche Industrieländer angewandt werden kann. Übriggeblieben sind 13 Faktoren. Sie zählen der Datenanalyse zufolge zu den statistisch signifikanten Erklärungsvariablen für die Veränderung der Frauenerwerbsquote. Und sie wirken, je nach Ausprägung, entweder fördernd (Schubkraft) oder bremsend auf die Frauenbeschäftigung (Bremskraft).

Dieser „Index der sozialen und politischen Schubkräfte“ macht die Studie so griffig: Je zahlreicher die Schubkräfte, desto dynamischer wächst die Frauenerwerbsquote, wie in den nordischen Ländern. Überwiegt die Zahl der Hemmnisse, steigt die FEQ nur langsam oder gar nicht – wie in Italien – oder sinkt sogar – wie in Japan. Das Rätsel Deutschland läßt sich nun einfach lösen, erweisen sich doch allein zwei der 13 Faktoren als im eigentlichen Sinne 'frauenfreundlich‘. Zum einen die relativ frühe Einführung des Frauenwahlrechts (1919) und zum anderen ein relativ kleiner Agrarsektor, der nur langsam abnimmt (Der Primärsektor hat traditionell einen hohen Frauenanteil. Schrumpft er in Maßen, verlieren nur wenig Frauen ihren Arbeitsplatz.).

Die Hindernisse gegen eine zunehmende Eingliederung der Frauen in den bundesrepublikanischen Arbeitsmarkt sind laut Schmidt „zahlreich, stark und zählebig“. Da wäre etwa ein starker und vor allem männerdominierter Industriesektor zu nennen. Er will anders als in der „Dienstleistungsgesellschaft“ USA nicht so recht abnehmen und mindert dadurch die Teilhabechancen für Frauen.

Hinzu kommt, daß der öffentliche Sektor bislang nur schwach gewachsen ist; ein Sektor, der Frauen vor allem in der Verwaltung, den sozialen Dienstleistungen, im Bildungswesen und der Gesundheitsfürsorge einen sicheren Arbeitsplatz bietet. Vergleichsweise gering ist in der BRD auch das Angebot an Teilzeitarbeit und, natürlich, an Kinderbetreuungsplätzen. Ebenso fehlen steuerliche Anreize für Frauenerwerbstätigkeit und mehr weibliche Abgeordnete im Parlament. Charakteristisch für die BRD ist auch die konservative Ausprägung der Familien-, Sozial- und Frauenpolitik.

Die Gesamtheit gesellschaftlicher Bestimmungsgrößen im Blick gelingt Schmidt ein umfassender Erklärungsversuch für die unterschiedliche Veränderung der Frauenerwerbsbeteiligung in den 18 Industrieländern. Ein Modell, das mit etwas Innovationsbereitschaft durchaus übertragbar ist – auf die ehemalige DDR etwa.

Daß dabei auch die Männererwerbsbeteiligung untersucht wird, rundet die Studie ab. Ernüchternd das Resultat: Das bißchen Verminderung der geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Erwerbsbeteiligungschancen, die es in Deutschland innerhalb von 25 Jahren gegeben hat, geht fast ausschließlich auf sinkende Erwerbstätigkeit der Männer zurück – und kaum auf steigende Beteiligung der Frauen. Sonja Striegl

Manfred G. Schmidt, „Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern im Industrieländervergleich“, Verlag Leske + Budrich, Opladen 1993, 122 Seiten, 33 Mark.