■ Die Judikative muß von der Regierung unabhängig werden:
: Von Italien lernen!

Industriemanager werden in Handschellen abgeführt, gegen Parteibosse wird wegen Bestechung ermittelt, der frühere Ministerpäsident Giulio Andreotti wird amtlich der Beihilfe zum Mord verdächtigt. Die italienische Justiz ist definitiv zum Hoffnungsträger des Landes geworden. Ihre Vertreter wurden zu Helden, weil sie im Vergleich zu ihren europäischen wie amerikanischen Kollegen mehr Befugnisse haben. In Italien gibt es eine sonst nirgendwo anzutreffende klare Trennung zwischen Exekutive und Judikative.

Das italienische Beispiel

Worin besteht diese Einzigartigkeit des italienischen Rechtssystems? Kurz zusammengefaßt aus zwei wesentlichen Merkmalen. Der Pubblico Ministero, d.h. derjenige, der die Funktionen eines Staatsanwaltes erfüllt, untersteht weder dem Justizminister noch seinen Beamten und ist somit nicht weisungsgebunden. Diese völlig von der Exekutive abgekoppelte Stellung sucht in der ganzen Welt ihresgleichen. Der italienische Rechtswissenschaftler Carlo Guarnieri unterstreicht diese besondere Stellung und somit die Rolle des italienischen Staatsanwaltes in seinem neuen Buch „Magistratura e Politica in Italia“. Er verweist darin auch auf den zweiten Aspekt, der zu dieser konsequenten Unabhängigkeit der Judikative gegenüber der machtvollen Exekutive geführt hat: die Bildung eines obersten Selbstverwaltungsorgans der Richter, Ermittlungsrichter und Staatsanwälte, den sogenannten Consiglio Superiore della Magistratura (Oberster Richterrat). Dem Lehrbuch nach beruht die Demokratie auf Gewaltentrennung. In den meisten demokratischen Staaten schützen sich aber Exekutive und Legislative vor einer tatsächlich unabhängigen Judikative durch Gesetze, die via Nominierungs- und Abberufungsrechte ihren Einfluß auf das Richterwesen absichern. In Italien hingegen verwaltet sich die Judikative weitgehend selbst. Die Mitglieder ihres höchsten Organs, des Obersten Richterrates – so steht es in der italienischen Verfassung – bestehen zu zwei Dritteln aus Richtern, Ermittlungsrichtern und Staatsanwälten, die vom eigenen Stand gewählt werden (jeder ist wählbar, aber nur für eine einmalige Amtszeit von vier Jahren) und zu einem Drittel aus Rechtskundigen, die vom Parlament ernannt werden. Ausschließlich dieses Organ verwaltet das Richtertum (wozu in Italien auch die Staatsanwälte gehören) und ist somit für die Anstellung im Dienst sowie Versetzungen, Beförderungen, Disziplinarverfahren zuständig.

Um zu vermeiden, daß sich Richter und Staatsanwälte von Karrierestreben oder Furcht leiten lassen und bewußt oder unbewußt ihre Unabhängigkeit aufgeben, wurde eine einzigartige Regelung eingeführt: Sämtliche Richter, Ermittlungsrichter und Staatsanwälte werden nominell und vergütungsmäßig automatisch aufgrund ihres Alters befördert. Somit erreichen alle nach 28 Jahren Dienst die letzte Stufe mit einem Gehalt von zirka 200.000 DM brutto im Jahr, obwohl sie weiterhin zum Beispiel als Amtsrichter oder Staatsanwälte tätig bleiben. Was nützt z.B. die im deutschen Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Richter (die der Staatsanwälte ist sowieso weder verankert noch gegeben), wenn der Justizminister und seine Beamten bei der Anstellung sowie der Beförderung mitentscheiden? Und wie ist es in Deutschland um die Arbeit der Staatsanwälte bestellt? Tatsache ist, daß sie im Unterschied zu ihren italienischen Kollegen dem Justizminister unterstehen, daß sie jederzeit versetzt werden können und daß eine bereits in Gang gebrachte Ermittlung vom Vorgesetzten an sich gezogen oder einem anderen Staatsanwalt anvertraut werden kann.

Kann ein Staatsanwalt (nomen est omen!), der Teil der Exekutive ist, gleichzeitig eine in der Gewaltentrennung implizierte, faktische Kontrolle der Exekutive und der Legislative garantieren und durchführen? Der Jurist Heribert Prantl, Innenpolitiker bei der Süddeutschen Zeitung , schrieb vor kurzem: „Zur Aufklärung der politischen Skandale der Bundesrepublik hat die bundesdeutsche Justiz wenig beigetragen; im Gegenteil: Nur zu oft haben Staatsanwälte und Richter ihren Part in der Nachhut gespielt – und es dubiosen Machtzirkeln erleichtert, sich demokratischer Kontrolle und strafrechtlicher Verantwortung zu entziehen.“ Um mit solchen Verhältnissen Schluß zu machen, bedarf es verbriefter Rechte und tatsächlicher Unabhängigkeit durch eine echte Gewaltenteilung.

Geglückte Abwehr

In Italien wurde zwar die sich selbst verwaltende Judikative jahrzehntelang respektiert, doch als die Exekutive 1991 um ihre Macht fürchtete, entbrannte ein kalter, mit juristischen Mitteln ausgefochtener Krieg zwischen ausführender und richterlicher Gewalt. Als Vorsitzender des Obersten Richterrates qua Amt versuchte Staatspräsident Francesco Cossiga, die Rechte dieses Gremiums einzuschränken und drohte schließlich sogar mit dessen Auflösung. Am 20.November 1991 wurde die Piazza Indipendenza in Rom, wo der Oberste Richterrat seinen Sitz hat, von Polizia und Carabinieri belagert. Wie La Repubblica berichtete, warteten selbst im Sitzungssaal zwei Polizeioffiziere auf die Befehle des Staatsoberhauptes. „Er bringt es noch fertig, uns verhaften zu lassen“, war die besorgte Äußerung von Richter Amatucci. Die Richter und Staatsanwälte beschlossen einen Generalstreik. Cossigas Unmut wuchs. Er bezeichnete dieses Organ als eine „realsozialistische Brutstätte“ und dessen Mitglieder als arrogante, ungezogene und rechthaberische Neo-Stalinisten. Einige Wochen später trat Ruhe ein. Das jetzige Staatsoberhaupt Scalfaro, selbst Jurist, gab 1992 unmißverständlich zu erkennen, daß er seine Rolle als Vorsitzender des Obersten Richterrats nicht zur Einflußnahme mißbrauchen wolle: „Ich werde eure Unabhängigkeit und die aller italienischer Richter und Staatsanwälte verteidigen.“ Mittlerweile hatten die in Mailand tätigen Staatsanwälte der Korruption auf höchstem Niveau den totalen Kampf angesagt. Der Konflikt mit Cossiga und der jahrelang anhaltende Versuch der Sozialistischen Partei, die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte auch anderweitig zu untergraben, hatte die Justiz aus ihrem Dornröschenschlaf aufgeschreckt. Als vor einigen Monaten die mit der Erneuerung der italienischen Verfassung beauftragte Kommission den Vorschlag machte, man solle den Staatsanwalt, dem deutschen Vorbild folgend, dem Justizminister und damit der Exekutive unterstellen, brach denn auch eine Welle der Entrüstung aus. Der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Richterrates erklärte, daß dieser Versuch „einem Staatsstreich gleichkomme“. Presse und Öffentlichkeit unterstützten den Richterrat, der diesen Vorschlag entschieden ablehnte.

Auch in der Bundesrepublik könnte leichter gegen korrupte Politiker vorgegangen werden, wenn sich diejenigen, die sich zur Zeit mit den möglichen Ergänzungen des deutschen Grundgesetzes beschäftigen, von der italienischen Verfassung (insbes. Art. 104 bis 108) anregen ließen. Dieses Stück souveräne Demokratie, im Sinne einer faktischen Gewaltenteilung und der Abkoppelung des Staatsanwaltes von der Exekutive, stünde auch einem Land wie Deutschland gut an. Myriam Fiorani

Journalistin, lebt in München