■ Ökolumne: Alternde Technik Von Engelbert Schramm
Längst hat sich herumgesprochen, daß der „nachsorgende Umweltschutz“ mit seiner Strategie immer neuer Filter nicht ausreichend ist; umfassende Produktions-und Verhaltensänderungen sind erforderlich, um an den Ursachen und nicht nur an den Symptomen der Umweltkrise anzusetzen. Zumindest der Rhetorik nach ist diese Erkenntnis Allgemeingut geworden: Pfiffige Jungunternehmer und große Versandhäuser propagieren ein ökologisches Marketing langlebiger oder weniger energieverbrauchender Produkte; kritische Chemiker im unteren Management von Bayer, die Betriebsräte bei Hoechst und die Aufsichtsräte von Industriekonzerne wie Opel diskutieren über die Entwicklung neuer Produkte mit höherer Umweltverträglichkeit.
Doch die theoretische Einsicht läuft Gefahr, in der Praxis ausgehebelt zu werden: Gerade, weil die politische Ökologie in der Vergangenheit erste Erfolge hatte, orientieren sich die Aktivisten (in den Parteien ebenso wie in den Behörden und zum Teil auch in den Initiativen) an vermeintlichen Erfolgsrezepten. Solch geistiger Stillstand ist gefährlich; die Orientierung an der Strategie von gestern kann dazu führen, daß nur noch die technische Ökologie, das end-of the-pipe- Treatment übrigbleibt, und über kurz oder lang sogar ein Krisenmanagement unmöglich wird.
Am Beispiel der Gewässerreinhaltungspolitik wird dies deutlich: Dank zahlreicher Vorstöße der Umweltverbände und einer betroffenen Wirtschaftsbranche (den Wasserwerken) kam es in den letzten 25 Jahren zum schrittweisen Ausbau von Kläranlagen bei Industrie und Kommunen; am Rhein hat dies immerhin zu einer Verbesserung des Zustands in den Ökosystemen des Stromes geführt — auch wenn der Fluß längst noch kein Öko-Paradies ist.
Nach dem Vorbild Rhein, darüber scheint sich die staatliche Umweltpolitik mit allen Parteien einig, sollen nun auch die ostdeutschen Flüsse saniert werden. Die notwendige Klärtechnologie wird allein im kommunalen Bereich Gelder in Höhe von mindestens 60 Milliarden DM verschlingen. Doch die könnten weitaus besser angelegt werden. Beispielsweise für Investitionsbeihilfen zum produktionsintegrierten Umweltschutz in Treuhandbetrieben; oder auch zur Entwicklung von langlebigen Konsumgütern und umweltneutralen Haushaltschemikalien.
Bekanntlich läßt sich Geld nur einmal ausgeben. Wenn also der technisch-nachsorgende Weg einmal eingeschlagen worden ist, wird er in der Regel nicht verlassen: In Teilen der neuen Bundesländer führte erst der Bau der ersten Klärstufen dazu, daß der Gewässerzustand kritisch wird — beispielsweise an der Warnow, wo die meisten Gemeinden in der Vergangenheit ihre Abwässer dezentral auf den Feldern verrieselten und erst durch die neue Technik dazu verleitet wurden, ihren Dreck in den Fluß einzuleiten, aus dem die Großstadt Rostock mit Trinkwasser versorgt wird. Besserung wäre nach dem bisherigen Lösungsmuster an der Warnow erst zu erwarten, wenn hier in die teure dritte Klärstufe investiert wird.
Bisher wird mit konventionellen Lösungen gearbeitet und so eine Umweltpolitik des Sachzwangs begründet. Statt erarbeiten zu lasen, welche unkonventionellen Lösungen auch in Zeiten knapper Mittel eine umweltpolitische Beweglichkeit ermöglichen könnten (z.B. dezentrale Abwasserbehandlung in Kombination mit sozialen Absprachen), hat der Umweltminister die Forschung in seinem Ressort extrem verringert. Das schweigende Festhalten an alten Strategien ist verhängnisvoll; es kann zur Manövrierunfähigkeit der politischen Ökologie, einer Festlegung auf eine technische statt einer sozialen Ökologie, führen. Die Umweltverbände täten gut daran, Minister Töpfer auf die Füße zu treten und Konzepte für eine an den Ursachen ansetzende (und damit ressortübergreifende) Umweltpolitik entwickeln zu lassen.
Nur so wird sich die klammheimlich begonnene Politik des Sachzwangs überwinden lassen. Andernfalls gerät der Umweltschutz in eine Dauerklemme, weil er immer im Dilemma sein wird, sich aus Finanzgründen zwischen einer Tolerierung der Flußverschmutzung der Gewässer und der Tolerierung anderer Symptome der Umweltkrise entscheiden zu müssen.
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