Monsun wird zum Fluch

■ Überschwemmungen in Nepal, Nordindien und Bangladesch

Neu-Delhi/Berlin (dpa/afp/taz) Die Zahlen der Todesopfer steigen stündlich. Seit 58 Jahren wurden im Himalaya-Gebiet keine Regenfälle dieses Ausmaßes mehr beobachtet. Selbst im Wüstenstaat fielen bis zu 209 Millimeter Niederschlag: der höchste je gemessene Wert seit dort meteorologische Daten gesammelt werden; die älteste Statistik aus dieser Region ist über hundert Jahre alt.

Klimaexperten streiten unterdessen noch über die Folgen des globalen Treibhauseffektes. Der Monsun gerät immer häufiger zur Katastrophe. Schon 1988 warnte das World Watch Institute in Washington, daß sich schwere Überschwemmungen, wie sie früher einmal in fünfzig Jahren vorkamen, in Zukunft häufen werden.

Es fällt nicht nur mehr Regen, auch die Folgen sind schlimmer. Die weiträumig abgeholzten Hänge des mittleren Himalaya halten das Regenwasser nicht mehr zurück. Sturzbäche spülen die Erdschicht ins Tal, überspülen Ufer und Dämme. Weite Teile der indischen Bundesstaaten Punjab, Haryana, West-Bengalen, Assam und Tripura stehen unter Wasser. In den Gebirgsregionen von Kaschmir und Himachal Pradesh wie auch in den übrigen nordostindischen Bundesstaaten haben Schlammlawinen jede Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten.

In Nepal sind ganze Dörfer weggespült. In der südlichen Terai- Ebene stehen Hunderte von Siedlungen unter Wasser. Die meisten Straßen und Brücken sind zerstört. Die Versorgung der Hauptstadt Katmandu ist unterbrochen. Allein im Distrikt Garlahi sollen tausend Menschen ertrunken sein; die Behörden fürchten, daß im Süden und Osten 100.000 Menschen obdachlos sind.

Die Regenflut vernichtet schon im Einzugsgebiet des Ganges und Brahmaputra die Ernte, zerstört Bewässerungsanlagen – und überfordert die lokalen Behörden. In der indischen Stadt Bihar sind 1,6 Millionen Menschen vom Hochwasser bedroht, auch in der Hauptstadt Neu-Delhi hat der Fluß Jamuna die Hochwassermarke überschritten. Im nordostindischen Bundesstaat Tripura versuchten Armee-Einheiten verzweifelt, Brüche im Dammsystem des Gomti-Flusses zu reparieren. Im Bezirk Jalpaiguri (West Bengalen) erschoß die Polizei drei Plünderer, die versucht hatten, einen Versorgungszug auszurauben.

Vollkommen hilflos steht Bangladesch der Flutwelle gegenüber. Hier fließen Ganges und der Brahmaputra zusammen. Am Samstag stand bereits die Hälfte des Landes unter Wasser. Bis zu zehn Millionen Menschen dürften Haus und Besitz verloren haben.

Die Katastrophe erinnert an die Überschwemmungen des Jahres 1988. Damals fanden in Bangladesch über 3.000 Menschen den Tod, zwei Drittel des Landes wurden überlutet. Die Weltöffentlichkeit war alarmiert, es gelang der Regierung in Dakha, Kredite für einen „Überflutungs-Aktionsplan“ locker zu machen. Zehn Milliarden Dollar sollen in den nächsten Jahren für Dämme ausgeben werden.

Umweltschützer befürchten, daß damit alles nur noch schlimmer werde. Deiche sollen vor allem zum Schutz großer Städte gebaut werden. Der Hydrologe Aminur Rahman sieht voraus, daß dann die Landgebiete noch stärker überflutet werden. Rahmans Kollege Jahir Uddin glaubt ohnehin: „Überflutungsschutz kann es hier gar nicht geben.“

Die Erosion am Oberlauf der Flüße und die Bevölkerungsexplosion am Delta haben das Gleichgewicht zwischen Zivilisation und und Natur zerstört. Experten aus Bangladesch glauben, daß zu viele Menschen heute zu nah an den Ufern der mäandernden Flußarme siedeln, die auch in der normalen Monsunzeit ihren Lauf verändern. Dämme änderten daran nichts, sie raubten nur den Ärmsten ihre letzte Lebensgrundlage. nh