Konstruktion ohne Kommentar

■ Der Schweizer Architekt Peter Zumthor über das von ihm entworfene und preisgekürte Internationale Begegnungs- und Dokumentationszentrum auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers

Der Senat hat es nach Auffassung des Schweizer Architekten Peter Zumthor jetzt eilig, die Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, „nachdem in den vergangenen gut 45 Jahren vor allem im Westteil der Stadt wenig dafür getan wurde“. Er gehe deshalb davon aus, erklärte der weltweit anerkannte Baumeister in einem Gespräch in Chur, daß das von ihm entworfene und im März mit dem ersten Preis gekürte Internationale Begegnungs- und Dokumentationszentrum auf dem Gelände des früheren Gestapo-Hauptquartiers trotz leerer Kassen 1995 realisiert wird. Kultursenator Roloff-Momin habe ihm gegenüber eine entsprechende Zusage gemacht, „und da ist Druck dahinter“.

Zumthor, der sich gegen einen in der Schweiz lebenden amerikanischen Architekten und neun deutsche Bewerber durchsetzte, hatte sich offenbar mit seinen Schutzbauten für römische Funde in der Graubündener Kantonalhauptstadt für die Ausschreibung empfohlen. „Außerdem wußte man wohl, daß von mir keine postmoderne Architektur zu erwarten ist, sondern ich eine schlichte, geradlinige Auffassung vertrete.“ Ausgangspunkt seiner Überlegungen, umriß Zumthor sein Herangehen, war die Erfahrung an Ort und Stelle. „Ich war sehr betroffen von der Ausstellung ,Topographie des Terrors‘, und mir wurde klar, daß es vollständig fehl am Platze wäre, da eine Art Haus zu bauen oder gar zu versuchen, das Thema mittels Architektur zu symbolisieren oder etwa zu bewältigen. Es mußte mir gelingen, das abstrakteste Gebäude zu erfinden, das ich je erfunden habe, eine Konstruktion, die Raum und Licht ist, zu behausen, ohne einen Kommentar abzuliefern.“ Entstanden sei eine Art Mahnmal, „das nun doch die eine Aussage hat, es möge auf dieser Stadtbrache ,Prinz-Albrecht-Gelände‘ nichts weiter geschehen“, beschrieb Zumthor sein Projekt.

Der Architekt würde es als „geradezu schrecklich“ empfinden, wenn auf dem Areal „irgend etwas designed würde“. „Wie sich das Gelände heute provisorisch, anspruchslos und pragmatisch präsentiert, ist Ergebnis einer fast 50jährigen Bewältigungsgeschichte. Die ganze Ungeheuerlichkeit kann nicht in einem normalen Ausstellungsgebäude domestiziert werden.“ Es sei ein Ort der Dokumente, die für sich sprechen und nur einer bewahrenden Hülle bedurften. So bleibe nach seiner Konzeption in der großen Ausstellungshalle der Kiesboden, in dem die bisherigen Ausgrabungen stattfanden, erhalten. „Hier soll keine Gemütlichkeit auf gut- deutschen Klinkerplatten entstehen – und es ist auch nicht 20 Grad warm“, bekräftigte der in Haldenstein unweit von Chur arbeitende und lebende Architekt. Er halte im Gegensatz zu manchem Vertreter der Stiftung „Topographie des Terrors“, die das Objekt künftig nutzen soll, nichts davon, dem Bürger in kleinen, mehreren Gebäuden „didaktisch-wohldosiert“ Geschichte näherzubringen. Hier werde er sich mit den Mitgliedern der Stiftung, „die sich 18 Jahre lang um die Thematisierung der Schrecken gemüht haben und nun plötzlich vor der adäquaten Architektur erst einmal zurückweichen“, weiter auseinandersetzen.

Peter Zumthor äußerte sich auch zu den von verschiedenen Seiten geäußerten, an ihn erstmalig herangetragenen Befürchtungen, das Prinz-Albrecht-Gelände könnte zu einem Wallfahrtsort für Rechtsextremisten werden. Die Mittel der Architektur seien hier beschränkt, er könne jedoch mit ruhigem Gewissen sagen, daß sein Objekt ebenso wie die Ausstellung nicht zum Wallfahren einladen, sondern in ihrer Täter-Opfer-Aussage eindeutig seien. André Gross (ADN)