„Sicherheit während der Bauarbeiten garantiert“

■ Für Westinvestoren in Moskau nur das Beste, für Anwohner die Probleme

Moskau (taz) – „Offenbar existieren bei uns zwei Gesetzessysteme: eines für die alteingesessenen Moskauer und ein anderes für Ausländer, nämlich ein Recht des Stärkeren, das sich an der Härte seiner jeweiligen Währung bemißt.“ Ein Mieterkomitee in dem malerischen Moskauer Altstadtgäßchen Juschinski Pereulok kommentiert mit bitteren Worten einen Neubau der Firma „Perestroika“. In den neuen, untereinander verbundenen Innenhöfen und Interieurs des Bürokomplexes wurden teuerste Materialien wie Marmor und Glas benutzt, und auch an technischen Kommoditäten fehlt es nicht: Telexanschlüsse, Klimaanlagen, Satellitensender und ein dreifaches Alarmsystem. Die Mieter, die für den Luxus durchschnittlich 850 Mark im Jahr pro Quadratmeter zahlen, sind schließlich nicht irgendwer: BASF, Ciba-Geigy, Credit Suisse, Du Pont, Mitsubishi – um nur einige zu nennen.

An einem Julivormittag des vergangenen Jahres schwitzten elegant gekleidete Gäste zur Eröffnung des bisher 15. Bürobaus des russisch-amerikanischen Joint- ventures, unter ihnen der Ex-Bürgermeister der Stadt Gavrijl Popov. „Das echte Gesicht des alten Moskau ist hier erhalten“, äußerte er anerkennend, bevor ein Chor von Kopftuch-Frauchen und dicken Männern geistliche Gesänge anstimmte. Orthodoxe Priester versprengten mit überdimensionalen Kosmetik-Pinseln heiliges Wasser.

Wirklich fügen sich die sechs neu entworfenen Häuser organisch in die Nachbarschaft ein. Wie ist es da zu erklären, daß die Anwohner sich am Einweihungstage so gar nicht feierlich gebärdeten? „Sie haben uns angeschmiert“, hieß es auf ihren Plakaten. Und: „Hier war eine Tannenallee“. Das Verschwinden von Grünflächen ist dabei nur eine Folge des neuen Bau-Booms im Moskauer Zentrum.

„Die Intaktheit der Gebäude und die Sicherheit der Menschen im Verlaufe der Bauarbeiten wird garantiert“ – zumindest auf einem Flugblatt der Firma Perestroika. Und so schildert das inzwischen gebildete Mieter-Komitee der beiden betroffenen Häuser die reale Umsetzung dieses Versprechens: Zur Aushebung der Baugrube und Absenkung des Grundwassers wurde eine Vibrationsmethode angewandt, die in praktisch allen Wohnungen des Hauses Nr. 6 den Stuck von den Decken fallen ließ. In den Mauern bildeten sich tiefe Spalten, in der Folge rissen Tapeten, fielen Kacheln von der Wand, und die Küchenherde standen plötzlich schief. Vibriert wurde eifrig, nämlich von früh bis spät und auch an Sonn- und Feiertagen, zwei Monate lang.

Im Haus Nummer 6 senkte sich Ende 1990 mit einem Ruck die Brandmauer, daß sogar die angrenzenden Fensterbänke auseinanderklafften. Grund für diese tektonische Verschiebung: Das Joint- venture hatte für die teuren Büro- Insassen auf wunderbare Weise die Sondererlaubnis zur Anlage einer Tiefgarage erhalten. Sonst ist so etwas in der ohnehin katakombenartig untertunnelten Moskauer Altstadt strikt untersagt.

Und weiter berichtet das Mieter-Komitee: „Wer die Möglichkeit hatte, floh aus seiner Wohnung, andere hielten stets ein Evakuierungsbündel parat.“ Notärzte geben sich hier permanent die Klinke in die Hand.

Außer der Stabilisierung der Brandmauer und dem Auszementieren der Mauerrisse hat die Firma bisher wenig zur Wiedergutmachung unternommen. Zweimal unterzog eine Kooperative das Treppenhaus diversen Renovierungen. Anstelle der erneuerungsbedürftigen wertvollen alten Türen mit schweren Füllungen setzten sie vor die Treppeneingänge rohe Schalholz-Türen. Zwischen Tür und Schwelle klafft eine Handbreit Freiheit.

Dabei kann die Firma Perestroika durchaus auch anders. Am Moskauer Setun-See hat sie schnuckelige Wohnhäuser gebaut, liebevoll ausgestattet bis hin zur dekorativen Keramikente auf Beistelltischchen – für West-Manager. Barbara Kerneck