Die schweren Tage - Teil 3: "... doch der Mund blieb stumm"

■ Folge 4: Mittwoch, 28. Juli 1943 - Die Feuersäule ist 250 Stundenkilometer schnell

Im Grunde verläuft der Angriff nicht ganz nach Plan. Vom Stadtzentrum entlang der Alster über St. Georg und Hohenfelde nach Barmbek haben die Strategen im englischen Bomberkommando das Lineal gelegt. Ein leichter Seitenwind drückt den „Bomberstrom“ jedoch unbemerkt nach Osten über Billwerder. Um 00.57 Uhr fallen hier die ersten Bomben. Den meisten englischen Piloten ist auf dem Rückflug klar, daß sie „etwas ganz Besonderes hingelegt“ haben. Dieser eher allgemeine Eindruck ist für die Royal Air Force aber nicht das einzig Bemerkenswerte in dieser Nacht: Nur 2,2 Prozent Verluste bei 787 gestarteten Maschinen – so kann der Krieg weitergehen.

Neunzig Minuten nach den ersten Einschlägen taucht im Tagebuch der Hamburger Feuerwehr zum ersten Mal ein Wort auf, das seitdem die Erinnerung an jene Nacht bestimmt: „Feuersturm“.

Über den getroffenen Stadtteilen herrschen Verhältnisse „wie in einem Ofen bei vollem Zug“, so die Beschreibung der Feuerwehr. Die langanhaltende Hitzewelle bei abnorm niedriger Luftfeuchtigkeit (eine „Jahrzehnt“-Wetterkonstellation: 30 Prozent bei 31 Grad um 18 Uhr am Dienstagabend) läßt über der Stadt einen „Luftschornstein“ entstehen, an dessen Basis sich nach dem Angriff Tausende von Einzelbränden zu einem riesigen sauerstoffverschlingenden Sog vereinigen. Das Feuer rast mit Geschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern durch die Straßenschluchten, Schätzungen gehen von Temperaturen bis zu 800 Grad aus.

Eine Konzentration von 300.000 Zwei- und Fünfzehnkilo-Bomben mit Magnesium-, Thermit- und Phosphorfüllung auf einer Fläche von 1,5 mal 3 Kilometern ist das Ergebnis, das die Royal Air Force bei jedem Angriff anstrebt. Aber nur einmal, in dieser Nacht, wird der „Bombenteppich“ auf einer so kleinen Fläche ausgerollt.

Gegen sieben Uhr am Mittwochmorgen schließlich „verhungert“ das Feuer. Innerhalb von 13 Quadratkilometern zwischen Hammerbrook und Wandsbek existiert nichts mehr, was noch brennen könnte. Eine Wand von schwarzem Rauch steht 7.000 Meter hoch vor der Morgensonne. Der Wehrmachtsbericht spricht im Laufe des Tages von „ausgebreiteten Bränden in mehreren Stadtteilen“. Die Bevölkerung habe „wieder Verluste erlitten“.

Die genaue Zahl der Toten kann nie ermittelt werden. Es dauert Tage, bevor Bergungstrupps sich in den glühenden Ruinen bewegen können. Was etwa die 450 Häftlinge aus dem KZ Neuengamme empfinden mögen, als sie - unter anderen - in diesen „Arbeitseinsatz“ geschickt werden, entzieht sich der Vorstellungskraft: „Bombenbrandschrumpfleichen“, scheinbar unversehrte Körper, nur etwas geschrumpft und „zu einer bräunlichen Farbe gebacken“; in den Kellern an Kohlenmonoxyd Erstickte, „manchmal in ganzen Haufen in der Nähe der Ausgänge“ oder „in der erkalteten schwarzen Masse ihres geschmolzenen Körperfetts“ liegend; „auf dem Fußboden nur eine dünne Schicht von Asche“, „die kleinsten Kinder wie gebratene Aale auf dem Pflaster“ ...

Eine Überlebende: „Es gab bei mir keine Tränen. Die Augen wurden immer größer, doch der Mund blieb stumm.“ 37.214 Verletzte werden gezählt. Die Leichen - im November werden immer noch Tote gefunden - schlüsselt ein interessierter NS-Statistiker anhand einer Stichprobe wie folgt auf: 50 Prozent Frauen, 38 Prozent Männer, 12 Prozent Kinder, in summa etwa 40.000 Tote in weniger als einer Stunde.

„In streng militärischer Sicht“ vermerkt der Chronist des Bomberkommandos, ist die Reaktion der Hamburger „das bedeutungsvollste Ereignis der Schlacht“. Zwei Drittel der Bevölkerung, 1,2 Millionen Menschen fliehen an diesem und während der nächsten Tage aus Hamburg. Zu Fuß, auf Elbkähnen, im Flugzeug, auf allen nur erdenklichen Gefährten und Wegen quellen die Menschenmassen über die Stadtgrenzen.

Es bedarf weder des Aufrufs von Gauleiter Kaufmann zur Evakuierung aller nur entbehrlichen Zivilisten noch des „Besuchs“ von vier leichten Bombern in der nächsten Nacht, um die Hamburger davon zu überzeugen, daß die Royal Air Force wiederkommen wird. Die Hunderttausende in den Flüchtlingstrecks können es nicht wissen, aber das inoffizielle Motto des Bomberkommandos lautet: „Ohne Rücksicht - Drauf!“. Morgen Teil 5: „Harwich - Hamburg - Harwich“.