Kurze Gnadenfrist für das Schiller Theater

■ Verfassungsgericht sollte über Aufschub für das Schiller Theater entscheiden / Einigungsvorschlag gestern abgelehnt

Nach drei Stunden zähen Verhandelns schien eine Lösung des Problems greifbar nahe. Könnte man nicht, so sinnierte gestern der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Klaus Finkelnburg, die Haushaltsberatungen des Parlaments im Herbst abwarten, „in der Form, daß der Senat dem Parlament Gelegenheit gibt, sich darüber Gedanken zu machen“, wie weiter mit dem Schiller Theater verfahren werden soll. Eine solche Vorgehensweise hätte das Verfassungsgericht vor der Notwendigkeit bewahrt, auf dem Wege der einstweiligen Anordnung darüber zu befinden, ob das Schiller Theater weiterarbeiten darf, bis die Klage der FDP-Fraktion in der Hauptsache entschieden wird.

Rechtsanwalt Peter Raue, der die FDP gestern vor dem Gericht in Sachen Schiller Theater vertrat, war von diesem Einigungsvorschlag merklich angetan, kam er doch dem, was er vor dem Gericht überhaupt durchsetzen könnte, denkbar nahe. Das Gericht hätte mit einem solchen Vergleich implizit bestätigt, was die FDP überhaupt zum Gang vor seine Schranken bewogen hat: daß der Senat mit seinem Beschluß vom 26. Juni, den Betrieb des Schiller Theaters zum Juli einzustellen, gegen die Rechte des Parlaments verstoßen habe. Denn diesem, so Raues Begründung, obliege es, über Haushaltstitel und auch über deren Änderung zu entscheiden. Es hätte folglich vor Abwicklung des Theaters gehört werden müssen.

Diesem Recht des Parlaments wäre mit Finkelnburgs Kompromiß nachbessernd Genüge getan, mehr als den damit verbundenen Zeitaufschub hätte das Schiller Theater ohnehin nicht gewinnen können. Es hätte dies zudem als letzten schalen Triumph gegen den Senat feiern können. Dem Senat hätte eine solche Einigung eine nun absehbare Niederlage in der Auseinandersetzung um die einstweilige Anordnung erspart.

Daß der Prozeßvertreter der Landesregierung, Rechtsanwalt Karl-Heinz Knauthe, diesen Kompromiß trotzdem ausschlug, mag zum einen mit dem Imageverlust zusammenhängen, den sein Mandant bei Annahme erlitten hätte. Es wäre sicher als Eingeständnis eines Verfahrensversäumnisses des Senats interpretiert worden. Er mag zudem die sich dann über Monate hinziehende öffentliche Auseinandersetzung um das Schicksal der Bühne gefürchtet haben. Gegenüber dem Gericht begründete Knauthe die Ablehnung mit den Zahlungen, die der Senat ansonsten im vollen Umfang für den weiteren Spielbetrieb des Schiller Theaters zu leisten hätte.

Der entscheidende Grund für die starre Haltung der Senatsseite im gestrigen Verfahren mag jedoch in der Gewißheit liegen, die sie im Laufe der Anhörung gewonnen hat. Der Gewißheit, daß sie im Hauptsacheverfahren obsiegen wird. Denn das Gericht machte deutlich, daß es zwei der drei von Raue vorgebrachten Argumente für ziemlich unerheblich hält und auch das dritte nicht für zwingend begründet erachtet. Raue sah in der „unsensiblen und radikalen Weise“, in der der Senat über das Schicksal des Theaters entschieden habe, die Kunstfreiheit des Artikels 5.3 Grundgesetz „verletzt“.

Wenn es eine solche Garantie gebe, so hielt ihm Finkelnburg schlüssig entgegen, so könne sich zwar ein Künstler darauf berufen, „auf jeden Fall nicht das Parlament“, das Raue vertrat. Auch der rechtliche Vorbehalt Raues, daß das „für die Kommune Wesentliche vom Parlament zu entscheiden“ sei, wurde vom Gericht so nicht akzeptiert. Immerhin sei dies dann, wie bei den Eigenbetrieben auch, eigens gesetzlich geregelt.

Bleibt in der Hauptverhandlung zu klären, ob das Budgetrecht des Parlaments verletzt wurde, ob mit der Vergabe der Haushaltsmittel für das Schiller Theater der den Senat bindende Wille verknüpft war, daß das Theater auch spielt, oder ob darüber zu befinden nicht eigene Befugnis des Senats ist.

Morgen entscheidet das Verfassungsgericht lediglich, ob, bis es diese Frage beantwortet, das Schiller Theater weiterarbeiten darf. Es wird wohl dürfen, weil sonst – Raues bestechendstes Argument – die eigentliche Entscheidung überflüssig würde. Und bis zur Hauptsacheentscheidung im September kann der Senat nachbessern, indem er einen entsprechenden Parlamentsbeschluß herbeiführt. Dieter Rulff