Institutionen sind janusköpfige Gestalten

■ betr.: "Rampen zu Waschanlagen", taz vom 20.7.93

betr.: „Rampen zu Waschanlagen“, taz vom 20.7.93

Institutionen, so lehrt es uns die Soziologie, sind janusköpfige Gestalten. Als soziale Struktur sind sie Regulative menschlichen Handelns und werden zugleich durch dieses Handeln erneut produziert und legitimiert. Bourdieu hat das in seinem Habitus-Konzept präzise herausgearbeitet. Als „Strukturen erzeugendes Prinzip“ fungiert der Habitus als Transmissionsmechanismus, durch den geistige und soziale Strukturen in den alltäglichen gesellschaftlichen Tätigkeiten Gestalt annehmen. Anders gesagt, gerade in unserem „spontanen“, habituellen Verhalten reproduzieren wir bestimmte, unausgesprochene Normen und Werte. Und genau dieses „spontane“ Handeln garantiert die Stabilität und Legitimität von Institutionen.

Allerdings sollte man daraus nicht den Schluß ziehen, daß unser Handeln restlos determiniert ist. Es gibt immer auch die Möglichkeit, eine Institution „sterben“ zu lassen, indem wir sie nicht permanent rezitieren. Gerade Intellektuelle oder solche, die sich dafür halten, legen in der Regel Wert auf ihre Fähigkeit zu Reflexion und regelveränderndem Tun.

Eine Institution unserer Gesellschaft ist Rassismus, dessen Stabilität und Legitimität, sofern die obigen Analysen zutreffen, nicht allein aus der Kohärenz seiner Ideologie resultiert, sondern der unablässigen Erneuerung durch die Mitglieder dieser Gesellschaft bedarf. Beispiele dafür finden sich täglich zuhauf und gerade nicht erst dort, wo sich Rassismus in physischer Gestalt äußert. So ist in der heutigen taz folgender bemerkenswerter Vergleich zu lesen: „Ein Buch, das in der Wüste liegt, ist noch kein Buch, denn für die Termiten ist es nichts als Futter, für den Negerjungen ein Sonnenschirm. Denn ein Buch wird erst zum Buch, wenn es gelesen wird.“

Nicht etwa ein offen rassistischer Rechter sprach dies, sondern der Direktor des Berliner Museums für Verkehr und Technik, Günther Gottmann. Sollte mir als Leserin also, versehen mit der Autorität des kritischen Historikers, wieder einmal vermittelt werden, daß AfrikanerInnen a) „Neger“ genannt werden („Neger“ sind?), b) nicht lesen können und folglich c) die Bedeutung von Büchern nicht kennen, diese also als Sonnenschirm verwenden würden?

Wie gesagt, Institutionen „leben“ vom Tun der Mitglieder einer Gesellschaft, dieses verleiht ihnen Dauer und Berechtigung. [...] Sabine Hark, Berlin

Mit Ihrem Einwand haben Sie einschränkungslos recht, wenn und soweit das Wort Neger despektierlich ist (was es etwa in den Emanzipationsbewegungen der Farbigen in den USA ganz und gar nicht ist).

Zur Erklärung oder gar Entschuldigung kann ich nur sagen:

1. Die Zitation geht auf ein eiliges Telefoninterview zurück, bei dem man gesprochenes Wort wenig kontrollieren und gar nicht korriegieren kann.

2. Die Zitation ist keine Eigenerfindung, sondern ein philosophisch-literarisches Zitat, dessen Ursprung ich leider nicht mehr verifizieren kann.

3. Der Vergleichspunkt heißt nicht: Schwarze können nicht lesen, sondern: kleine Kinder können nicht lesen.

4. Hätte ich doch statt Wüste, die als Menschenschlag Neger/Schwarze assoziiert, gesagt „Sandkasten“ und statt Negerjunge „meine Tochter Felicia“, wäre wohl jedes Mißverständnis ausgeschlossen? Prof. Günther Gottmann,

Direktor des Museum für

Verkehr und Technik, Berlin