Christlicher Etikettentausch in Italien

Die Democrazia cristiana tauft sich um in „Volkspartei“ – war's das schon? / Forderungen nach Abtreten der alten Garde / Streit um Öffnung zu Ex-Kommunisten / Urwahl der Kandidaten  ■ Aus Rom Werner Raith

„Mein Gott, ich dachte, wir wollen uns erneuern,“ entfuhr es einer Delegierten aus Turin, „was macht der denn da?“ Der Blick ging hin zur Vorstandtribüne, auf der neben dem christlich-demokratischen Parteisekretär Mino Martinazzoli breit und behäbig einer thronte, den die meisten am liebsten weit weg gesehen hätten – Deutschlands Bundeskanzler Helmut Kohl. Dessen Höflinge streuten aus, daß eigentlich er, Kohl, es gewesen sei, der Martinazzoli zur Aufgabe des alten Namen geraten und den neuen, „Volkspartei“ vorgeschlagen habe.

Genau das aber scheint den meisten hier im EUR-Kongreßzentrum auf dem Sonderparteitag der Democrazia cristiana nun der falsche Weg — „daß einer daherkommt, der alles besser weiß und so tut, als gäbe es im Grunde nur eine italienische Krise des Konservativismus, nicht eine weltweite“, so ein Gefolgsmann der neuen Hoffnungsträgerin Rosy Bindi aus dem Veneto. Der jahrelang ins Abseits geschobene, nun mit Macht an die Spitze geholte Außenminister Beniamino Andreatta, Vertreter des linken Flügels, ließ gar von der Rednertribüne einen deutlichen Schuß in dieselbe Richtung los: „Ich weiß eigentlich nicht, was da an Erneuerung dransein soll, wenn all die alten Kämpfer hier auftauchen und sich mit alledem einverstanden erklären.“

Italiens Democrazia cristiana (DC) vor dem – angeblichen – Wandel: Ratlosigkeit allenthalben, Graben- und Flügelkämpfe wie gehabt; nur daß man einen neuen Namen braucht, darüber ist man sich einig. Merkwürdigerweise, denn noch vor einem Jahr hatten die DC-Oberen noch zäh ihre auch namentliche Ansiedlung im Herzen des Katholikentums bekräftigt. Mittlerweile hat jedoch selbst der Papst über die italienische Bischofskonfrenz mitgeteilt, daß die bisher so hochgehaltene „Einheit der Katholiken“ nicht mehr sakrosant sei. So scheint vielen die Änderung des Namens wohl das geringere Übel – wenn man nur eine allzu forsche politische Marschänderung vermeiden kann.

Laut und unübersehbar schreien und schreiben bereits die Epigonen der bisherigen Führer Forlani, Andreotti und De Mita ihr „Weder mit den Ligen noch mit dem PDS“ als Slogan der künftigen Formation hinaus: „Glatter Selbstmord“, so Außenminister Andreatta, und da hat er wohl recht: wenn die in Oberitalien schon auf 40 Prozent der Stimmen gekommenen Ligen und die in Mittelitalien starken Ex-Kommunisten der PDS nicht als Koalitionspartner in Frage kommen, gibt es derzeit schlichtweg schon rein numerisch keine Allianz mehr. Die letzten Teilwahlen signalisieren einen Abstieg des bisherigen Regierungsbündnisses von 1992 noch 48 auf mittlerweile allenfalls noch 28 Prozent.

Doch die Namensänderung scheint auch aus anderen Gründen Sinn zu machen – so war es der ehemaligen KP 1991 gelungen, durch das Umtaufen in „Demokratische Partei der Linken“ (PDS) zwar mit einigem Flügelverlust (es bildete sich eine zweite Formation namens „Rifiondazione comunista“), aber doch sichtbar wieder Fuß zu fassen, nach Jahren des Niedergangs, und das noch ohne Festlegung auf ein akzentuiertes Programm. Die altneuen Christdemokraten hoffen, sich zwar auf wesentlich niedrigeren Niveau als den bisher meist erreichten 30-35 Prozent, aber immerhin als kontinuierlich präsenter Faktor der italienischen Politik halten zu können.

Dazu will Parteichef Martinazzoli, der sich per Akklamation völlig freie Hand in der Programm- und Personalgestaltung geben ließ, eine Reihe von Neuerungen einführen: aufgelöst werden sollen die bisherigen Parteibüros, die in aller Regel reine Mitgliedssammler waren und dem jeweils am Ort herrschenden Parteihäuptling Einfluß auf den Kongressen verleihen sollten. Stattdessen werden 470 Kulturzentren eingerichtet, bei denen man keinen Mitgliedsausweis erhält, sondern freien Zutritt hat, und die dann in einer Art Urwahl die Kandidaten für die Wahllisten und auch den Parteivorsitzenden bestimmen sollen. Gleichzeitig möchte Martinazzoli die Koalitionsgespräche „ohne Vorbedingungen“ führen können, das heißt auch hin zur bisher verfemten Ex-KP öffnen – oder aber, was den meisten DClern am schwierigsten verdaubar erscheint, auch mal für einige Zeit auf die Oppositionsbänke rücken.

Trotz der einhelligen Akklamation für den von Politskandalen freien, durch Skrupulosität und Nachdenklichkeit eher etwas untypischen Spitzen-Katholiken ist auch viel Unmut im Kongreßzentrum zu spüren. Das reicht bis hin zu Fragen wie: „Sind wir schon so weit heruntergekommen, daß wir mit dem Klingelbeutel sammeln müssen, wie in der Kirche?“ meint irritiert ein Delegierter angesichts der Bitten um Spenden für die Ausgaben zum Parteitag am Haupteingang – er erfährt, daß man wirklich schon so weit ist: nach den Korruptionsskanalen ist der Spendenfluß abrupt abgerissen. Außerdem hat Martinazzoli verfügt, daß sich die Partei von allen nicht mit der Politik direkt zusammenhängenden Geschäften zu trennen hat – einschließlich des Verkaufs aller Anteile an Tageszeitungen, die sie bisher hielt.

Doch auch die besonders vorantreibenden ReformerInnen, wie etwa die kokett öffentlich mit ihrer Jungfräulichkeit als Zeichen asketischer Polit-Arbeit werbende Rosy Bindi, sind unzufrieden: Erneuerung „bedeutet auch Ausscheidung des Alten“, sagt sie und verlangt, daß sich „die alte Garde so schnell wie möglich davonmacht“. Die alten Kämpfer wenden dagegen ein, daß gerade Neulinge wie Bindi selbst erst ein paar Jahre, manche gar nur Monate im Politgeschäft sind und daher nicht im geringsten imstande seien, die Tücken täglicher Arbeit zu durchschauen und damit umzugehen.

Dann trägt auch noch Martinazzoli selbst zur weiteren Verwirrung bei: kaum hat er die verlangten absoluten Vollmachten bekommen, kündigt er an, daß er zum Jahresende – wenn die Konstituierung der neuen Volkspartei abgeschlossen ist – aus der Politik ausscheiden will. Dabei ist es weniger die Ankündigung als solche, die Unsicherheit schafft, als vielmehr die Tatsache, daß der Mann derlei schon diverse Male versprochen und nie eingehalten hat.