Angriffe gegen Libanon fortgesetzt

■ Israel geht weiter mit unverminderter Härte vor / Mindestens 120.000 Menschen im Libanon geflüchtet / Hisbollah beschießt Nordisrael erneut mit Katjuscha-Raketen / Auch Israelis auf der Flucht

Tel Aviv/Beirut (dpa/AFP) – Die israelische Armee hat ihre Angriffe gegen Libanon gestern mit unverminderter Härte fortgesetzt. Bei der pausenlosen schweren Bombardierung kamen wieder Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Während sich US- Außenminister Warren Christopher wegen der „dramatischen Eskalation der Gewalt“ zur vorzeitigen Rückkehr von einer Reise nach Singapur entschloß, zeigte sich sein israelischer Kollege Schimon Peres kaltblütig davon überzeugt, daß der Nahost-Friedensprozeß durch die israelische Offensive im Libanon „nicht bedroht“ sei. Christopher erklärte, er wolle sich in Washington schnellstens mit seinem Nahost-Stab und Präsident Clinton beraten.

Der UNO-Sicherheitsrat, der Montag abend auf Antrag Libanons zu einer Dringlichkeitssitzung zusammentreten wollte, hatte die Sitzung ohne Angabe von Gründen auf gestern verschoben. Frankreich, Syrien, Ägypten und die Palästinensische Befreiungsorganisation haben davor gewarnt, daß die israelischen Bombardements gravierende Auswirkungen auf die Nahost-Friedensgespräche haben könnten.

Nach libanesischen Angaben wurden am Dienstag und in der vorausgegangenen Nacht wieder mindestens neun Menschen bei den Angriffen getötet, die genaue Zahl der Verletzten sei noch nicht bekannt. Insgesamt seien seit Sonntag mindestens 42 Libanesen und Palästinenser getötet worden, hieß es. Durch die Angriffe der libanesischen Hisbollah auf Nordisrael wurden dort bisher zwei Zivilisten und ein Soldat getötet.

Die israelische Armee forderte die Bevölkerung in weiteren libanesischen Gebieten auf, ihre Wohnorte zu verlassen. Die damit verbundene Drohung führte zu einer Vergrößerung der bereits am Montag einsetzenden Massenfluchtbewegung im Libanon, die vor allem Richtung Beirut geht. Ein Sprecher der im Libanon stationierten UNO-Truppen UNIFIL erklärte gestern, allein im südlibanesischen Operationsgebiet der UNO hätten mehr als 120.000 der insgesamt 200.000 Einwohner ihre Wohnorte verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Rund zwanzig Dörfer am Rand des israelisch besetzten Gebietes wären inzwischen vollkommen leer, sagten libanesische Polizisten.

Artilleriegeschosse gingen gestern vor allem in der Stadt Nabatije und in der Umgebung der Hafenstadt Tyrus nieder. Nach Angaben israelischer Militärs bombardierten Kampfflugzeuge und Hubschrauber auch weiterhin Dörfer am Nordrand des von Israel besetzten Teils des Südlibanon. Nach Angaben libanesischer Sicherheitskräfte lag der Schwerpunkt der israelischen Bombenangriffe gestern vormittag in einem Gebiet mit etwa vierzig Dörfern im Bergmassiv Iklim Al-Tuffah südöstlich von Sidon, östlich von Tyrus. Auf insgesamt 13 Stellungen der Hisbollah, die zum Teil in diesem Gebiet liegen, habe die israelische Luftwaffe seit Montag abend 22 Angriffe geflogen, hieß es.

Nach einer verhältnismäßig ruhigen Nacht an der israelischen Nordgrenze schlugen gestern morgen auch dort wieder vereinzelt Katjuscha-Raketen der libanesischen Hisbollah ein. Seit Beginn der Kämpfe wurden rund 150 Katjuschas auf Nordisrael abgefeuert. Am Montag hatte sich die Lage etwas entspannt. Aber Tausende von Israelis haben sich dennoch ins sicherere Landesinnere zurückgezogen. Militärs wollten noch keine offizielle Einschätzung abgeben, ob die Kämpfe in absehbarer Zeit zu Ende gehen. Im nordisraelischen Metulla gingen die dort stationierten israelischen Soldaten gestern davon aus, daß sie „noch eine ganze Weile jeden Tag Hunderte von Geschossen“ in den Libanon anfeuren werden. Sie zeigten im Gespräch auch wenig Skrupel, wissentlich auf libanesische zivile Ziele zu schießen. Die Bewohner der libanesischen Dörfer hätten schließlich den Hisbollah-Milizen stets bereitwillig Hilfe geleistet, und das hätten sie jetzt eben zu büßen, erklärten einige.