Geldschein-Reform oder Geld-Scheinreform?

■ Die Umtauschaktion geht an den Ursachen der russischen Inflation vorbei / Die fast unbegrenzte Kreditvergabe an bankrotte Kombinate wird nicht angerührt

Berlin (taz) – Ein Blick auf den Dollarkurs zeigt deutlich, wo die Gewinner und wo die Verlierer der überraschenden Geldumtauschaktion durch die russische Zentralbank zu suchen sind. In Moskau war der Dollar am Montag zum erstenmal seit Mai wieder für weniger als 1.000 Rubel zu haben. In Kasachstan dagegen ist der Preis für den Dollar auf 3.000 Rubel hochgeschnellt. Kasachstan gehört zu den ehemaligen Sowjetrepubliken, die auch weiterhin in der Rubelzone bleiben wollen.

Der Dollarkurs spiegelt das Vertrauen in die russische Währung wieder. Während in Moskau mit der Geld-Schein-Reform die Hoffnung verbunden ist, endlich die Inflation in den Griff zu bekommen, befürchtet man in den Nachbarrepubliken, die über den Rubel an das russische Geldsystem gekoppelt sind, daß Moskau einfach die Deckung für die Währung versagt und das Geld plötzlich nichts mehr wert ist.

Die Angst ist berechtigt. In Rußland dürfen alte Geldscheine bis zur Höhe von 100.000 Rubel in neue Scheine bar umgetauscht werden, in den anderen Republiken der Rubelzone aber nur bis 15.000 Rubel.

Das sind in Kasachstan beispielsweise gerade mal fünf Dollar oder ein durchschnittlicher Monatslohn. Alles was darüber hinausgeht, muß laut Zentralbankbeschluß auf einem Sparkassenkonto angelegt und kann frühestens in einem halben Jahr abgehoben werden. Bei einem Zins von 40 bis 60 Prozent und einer Inflationsrate von weit über tausend Prozent sind die Rubel dann nicht mehr viel wert. Mit anderen Worten, die russische Zentralbank will ihre Inflationsprobleme vor allem auf dem Rücken der Nachbarrepubliken lösen.

Eine der Hauptursachen der russischen Inflation wird dadurch allerdings nicht einmal gestreift. Sie liegt in der fast unbegrenzten Kreditvergabe dubioser Geschäftsbanken an konkursreife Kombinate, wobei die Zentralbank selbst eine wesentliche Rolle spielt. Da nur Banken, nicht aber Unternehmen Geld bei der Zentralbank ausleihen können, haben viele Kombinate über Mittelsmänner selbst Banken gegründet. Seit einem Jahr sind so rund 4.000 Banken entstanden, von denen höchsten fünf bis zehn Prozent in der Lage sind, das zu tun, was man gemeinhin von Banken erwartet. Wie anderswo Firmen ein Konto aufmachen, so machen russische Kombinate eben Banken auf.

Die Zentralbank, die nicht der Regierung, sondern dem alten Obersten Sowjet unterstellt ist, nimmt ihre Aufgabe, die Banken zu überwachen, nicht wahr und unterstützt dadurch diese Praxis. Sie drückt beide Augen zu, weil sie dem Sparkurs der Jelzin-Regierung entgegensteuern will.

Weil die Regierung die Staatsausgaben drosselt, bleiben viele Kombinate, die an Staatsaufträge gewöhnt sind, auf ihren Gütern sitzen, vor allem im militärisch-industriellen Bereich. Daß die Zentralbank seit einiger Zeit fast unbegrenzt Kredite an diese Betriebe gewährt, ist also vor allem auf den Druck des konservativen Flügels im Obersten Sowjet zurückzuführen.

Die Kombinate produzieren damit weiter unverkäufliche Lagerbestände. Damit wird zwar die Arbeitslosigkeit aufgeschoben, aber eben zum Preis einer dramatisch ansteigenden Inflation, die auf einen Wirtschaftskollaps zusteuert. Denn die Aufblähung des Buchgeldbestandes durch solche Kredite hat Ausmaße angenommen, die das Budgetdefizit der Regierung ums Doppelte übersteigen. Westliche Experten beklagen, daß den russischen Geldmanagern der Zusammenhang zwischen Kreditmenge und Inflation völlig fremd sei.

Wenn die Zentalbank Kredite vergibt, schafft sie neues Geld. Und wenn die Betriebe damit Unverkäufliches herstellen, bringen sie das Geld über Löhne und Betriebskosten in Umlauf, ohne einen Gegenwert zu schaffen. Genauso gut könnten die Betriebe Geld drucken. Alois Berger