Achtung, Einsturzgefahr!

Saarländer leiden unter Bergschäden: Mauern brechen, Häuser wanken, und um Entschädigungen wird gekämpft  ■ Aus Saarbrücken Frank Thewes

Fast 90 Jahre stand in Wemmetsweiler die Kirche fest im Dorf. Doch nun wackelt der Turm von St. Michael. Die Mauern hängen schief und zeigen tiefe Risse. Noch zwei Jahre lang wird hier gebaut und allenfalls dafür gebetet, daß die Kirche nicht doch noch einstürzt. Als Bauherr fungiert – ganz unfreiwillig – das Kohleunternehmen Saarbergwerke AG: Denn Sinn und Zweck des etwa zehn Millionen Mark teuren Projektes ist, wie eine große Tafel ausweist, die „Sicherung der Pfarrkirche gegen Bergschäden“. Doch für viele der 5.500 Einwohner vom Wemmetsweiler kommen solche Vorbeugemaßnahmen zu spät: Der Bergbau unter der Gemeinde macht immer mehr Häuser unbewohnbar.

Robert Kirsch hat sein baufälliges Elternhaus vor einem Monat verlassen. Seine 84jährige Mutter ist letzte Woche umgezogen: Das Haus, in dem die Familie seit 1936 gewohnt hat, muß jetzt abgerissen werden.

Die ersten Risse waren vor genau zwei Jahren an der Hausfront aufgetreten. Ein Jahr später liefen sie bereits quer durch das Wohnzimmer und „damit mitten durchs Herz“. Täglich brach das Gemäuer an immer neuen Stellen auf. Die Gasleitungen verschoben sich bedrohlich. Wie etwa 10.000 andere Saarländer im Jahr meldete Robert Kirsch die Schäden bei Saarberg. Das Unternehmen ließ reparieren, doch „bereits im Oktober war klar, daß das Haus nicht mehr zu retten ist“. Damit begannen für Kirsch harte Verhandlungen. Als Ausgleich für ein unbewohnbares Haus braucht Saarberg nur den Zeitwert zu zahlen, obwohl dafür niemand mehr ein neues Domizil findet. 300.000 Mark bot das Unternehmen für das Zweifamilienhaus von Robert Kirsch. Der Schulrektor machte eine Gegenrechnung auf und pokerte die Summe immerhin auf 462.000 Mark hoch. Eine Großfamilie aus der Illinger Straße wollte Saarberg mit 162.000 Mark auf die Suche nach einem neuen Haus schicken. Als die Betroffenen Klage einreichten, war plötzlich das Doppelte drin. Allein in Wemmetsweiler sind mehrere hundert Häuser vom Abbau durch die Grube betroffen. 1995 soll unter dem Ort ein neues Kohlefeld erschlossen werden. „Dann“, so Adalbert Hahn von der örtlichen Bürgerinitiative, „zittert hier fast jeder um sein Häuschen.“ In einem Flugblatt sind Fotos des Dorfes nach den Bomben von 1944 und nach dem Bergbau von 1993 zu sehen: die Trümmer gleichen sich. Dazu hat die Bürgerinitiative voller Wut getextet: „Wir brauchen keinen Krieg! – Wir haben Saarberg!“

Landesweit wächst der Ärger auf den staatseigenen Kohlegiganten. Immerhin gibt es in keinem Bundesland pro Kopf der Bevölkerung so viele Eigenheime wie im Saarland. Und für deren Besitzer bricht allzu oft buchstäblich über Nacht ein Lebenswerk zusammen. Mehr als 6.000 Menschen haben sich bereits in einem Landesverband der Bergbaubetroffenen zusammengeschlossen. Ihr Vorsitzender Alois Willmes ärgert sich vor allem über die schwache rechtliche Stellung der Hausbesitzer. Das Bundesbergbaugesetz ist zwar vor zehn Jahren geändert worden. Doch sein Wortlaut stammt noch immer weitestgehend aus den dreißiger Jahren, als der einzige Energieträger Kohle vor allen anderen Interessen rangieren sollte. Dies ist auch heute noch so: Als im Ort Reisbach Betroffene gegen den geplanten Abbau Widerspruch einlegten, beantragte Saarberg ganz einfach „Sofortvollzug“. Das zuständige Bergamt gab dem Antrag statt, und die verdutzten Reisbacher konnten schon zwei Wochen später die ersten Risse zählen.

In der Kritik steht zunehmend auch das per Gesetz unabhängige Bergamt: Die Minibehörde hält zwischen mächtigem Kohleunternehmen und betroffenen Bürgern offenbar nicht immer die Waage. Rechtlich vorgeschriebene Belehrungen an Abbaugegner enthalten bisweilen merkwürdige Ratschläge: „Ich kann Ihnen aber versichern“, schreibt da etwa ein Sachbearbeiter, „daß bei der derzeitigen Rechtslage Ihrem Widerspruch kein Erfolg beschieden sein wird.“ In den Akten der unabhängigen Behörde finden sich außerdem fragwürdige Vermerke über Saarberg-Kritiker. So heißt es über einen Bürgermeister, der für seine Gemeinde Klage eingereicht hat, dieser wolle „sich gegenüber dem Bergbau profilieren“.

Wenn erst einmal Schäden aufgetreten sind, müssen Betroffene ohnehin direkt mit Saarberg verhandeln: Der Schädiger kann dann zunächst selbst die Höhe der Entschädigung bestimmen. Wer damit nicht einverstanden ist, muß notfalls klagen, und das kann dauern: Norbert Betram aus Merchweiler [Name von der Red. geändert] prozessiert seit sechs Jahren um eine angemessene Entschädigung. Saarberg will nur für einen Teil der Schäden aufkommen, weil das Haus – typisch saarländische Praxis – im Eigenbau entstanden ist und daher angeblich handwerkliche Mängel aufweise. Die Risse in B.s Haus sind inzwischen so groß, daß jeder mühelos mit der Hand durch die Wand ins andere Zimmer fassen kann. „Im Winter“, so sagt er, „hat's dauernd gezogen. Die Kinder waren ständig krank.“ Bei der Finanzierung seines Hauses hat er Mieteinnahmen einkalkuliert, doch die Einliegerwohnung steht seit 1987 leer. B. ist verbittert über arrogante Bergbaulobbyisten, schlechte Rechtsanwälte, überforderte Richter und desinteressierte Journalisten: „Wer hier an Saarberg gerät“, so stellt er lakonisch fest, „der hat nur zwei Möglichkeiten: Bittgang oder Kreuzgang.“ Damit dies nicht so bleibt, verlangen die Bergschadensvereine ähnlich wie im Ruhrgebiet eine neutrale Gutachterkommission. Doch gegen diese Forderung hat sich Saarberg bislang erfolgreich wehren können – dank starker Lobby: Das Unternehmen ist der größte Arbeitgeber an der Saar: 18.000 Menschen arbeiten hier. Hinzu kommen viele Betriebe, die von Saarberg-Aufträgen abhängig sind. Wer wie Alois Willmes öffentlich Stellung gegen das Unternehmen bezieht, bekommt Ärger, Drohbriefe und garantiert keinen Termin in der Staatskanzlei: Kritik an Saarberg ist quer durch alle Parteien tabu. Lediglich FDP-Chef Harald Cronauer wettert unter Pfiffen aus den eigenen Reihen lauthals gegen unsinnige Privilegien. So fühlen sich die Bergbau-Geschädigten von der Politik im Stich gelassen. Ihre Verbandssprecherin Petra Altmeyer beschreibt das so: „Wir werden hier immer mehr zur APO.“