Sechs Millionen Fahrräder werden jährlich in Deutschland verkauft, aber nur 70 Prozent davon stammen aus deutscher Herstellung. Innovationen und Trends kommen immer aus Japan und den USA. Von Nicola Liebert

Aus Fahrrad wurde Bike

Radfahren ist zweifellos „in“. Bei immer mehr Menschen setzt sich die Einsicht durch, daß das Fahrrad einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Verkehrsprobleme leisten kann. Nur schafft es die Industrie bislang nicht, alltagstaugliche Komforträder zu liefern, obwohl neue Lösungen längst vorliegen. Zumindest die europäischen Fahrradhersteller scheinen es vorzuziehen, abzuwarten, bis sich die Nachfrage nach einem neuen Produkt kristallklar manifestiert – oder bis die Amerikaner oder Japaner mit Innovationen auf den Markt kommen.

Zum Beispiel das Mountainbike: Aus den USA kommend, leitete es Ende der achtziger Jahre einen Fahrradboom ein, mit dem erstmalig seit Jahrzehnten neue, verbesserte Produkte auftauchten. Geschickt zielten die Hersteller auf die Fitneß- und Freizeitgesellschaft. Das Rad, das längst nicht mehr Fahrrad, sondern „Bike“ heißt, wurde mit Erfolg zum Prestigeobjekt gemacht. Die deutsche Fahrradindustrie war an dieser Entwicklung allerdings gänzlich unschuldig. Denn trotz gestiegener Absatzzahlen schrumpft die Fahrradproduktion hierzulande seit Jahren kontinuierlich. Fast sechs Millionen Räder werden pro Jahr in Deutschland verkauft, allein in den alten Bundesländern ist die Zahl der verkauften Fahrräder seit Mitte der achtziger Jahre um zwei Drittel gestiegen. Aber nurmehr knappe 70 Prozent der verkauften Räder stammen aus deutscher Herstellung. Allein 1992 fiel die Produktion um zehn Prozent.

Jahrzehntelang war mit Fahrrädern kaum ein Geschäft zu machen. Neuinvestitionen fanden in Europa daher so gut wie nicht statt. In den USA, dem Herkunftsland des Mountainbikes, war man innovativer. Besonders aber in Fernost, vor allem Japan, bewegte sich etwas: Mit viel Geld und einer riesigen Entwicklungsabteilung hat etwa der japanische Hersteller Shimano schon in den frühen achtziger Jahren voll auf Expansion gesetzt. Wenn jetzt fast alle Räder mit Shimano-Gangschaltungen ausgerüstet werden, dann liegt das nicht daran, daß in Japan die Löhne so niedrig sind, sondern daß die Produkte schlicht besser sind als die der heimischen Konkurrenz. Auch schufen sich asiatische Firmen durch geschicktes Marketing die entsprechende Nachfrage.

Die deutschen Firmen jammern unaufhörlich über die Dumping- Importe aus den asiatischen Billiglohnländern – und hatten damit auch schon Erfolg: Gegen Fahrradimporte aus China konnte der Verband der Fahrrad- und Motorradindustrie bei der EG-Kommission einen Strafzoll von 34 Prozent durchsetzen. Ulrike Saade, Geschäftsführerin des Verbundes selbstverwalteter Fahrradbetriebe, wirft den deutschen Fahrradfirmen aber vor, ihre Probleme selbst verschuldet zu haben. Statt auf das Fahrrad hätten die Hersteller auf das motorisierte Zweirad gesetzt. Außerdem würden in Entwicklungsabteilungen offenbar lauter Ingenieure sitzen, die selbst nicht radfahren, vermutet sie.

Die Innovationen beschränken sich meistens auf die sportliche Seite: das „Bike“ als Sport- und Imagegerät. An der Sprache soll man da den Fortschritt erkennen, der mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar ist: von Hyperglide über Biopace zu Power-Shift. Das praktische Nutzgerät findet da kaum noch Beachtung.

Ein Trend, das Fahrrad wieder mehr als praktisches Fortbewegungsmittel zu nutzen, zeichnet sich indes ab. Zwar werden auch weiterhin Prestige-Biker in knallbunten Trikots, sexy Fahrradhosen und Helmen, an denen allein das windschnittige Aussehen interessiert, ihre hochgebirgstauglichen Stollenreifen über brettebene Boulevards treiben. Aber das Renommierrad ist nur die Einstiegsdroge. Ruth Steinacker vom AdFC, dem Allgemeinen deutschen Fahrrad-Club, vermutet, daß sich um so eher Umweltbewußtsein bei den Radlern entwickelt, je mehr Spaß sie am Radfahren haben. Das belegen Verkaufszahlen der verschiedenen Fahrradtypen. Während nur noch fünf Prozent der verkauften Räder Mountainbikes sind und auch Rennräder mit ebenfalls fünf Prozent weit abgeschlagen sind, richtet sich jetzt die Nachfrage auf Reiseräder sowie alltagstaugliche City-Bikes.

„Es bewegt sich etwas, ganz langsam“, glaubt Radfahren-Redakteur Michael Bollschweiler daher. Auf den Durchbruch des Fahrrads werde man aber noch warten müssen. Denn der hängt nicht nur von technischen Verbesserungen und geschickteren Vermarktungsstrategien ab, sondern vor allem von der Verkehrspolitik. Um auf das Rad umzusteigen, sei nicht nur gute Fahrradtechnik nötig. „Man muß auch die Chance haben, lebend anzukommen.“