Ein Leben voller Gewalt

■ Prozeß wegen versuchten Totschlags/Prostituierte niedergestochen

„Ich weiß nur noch, daß ich das Messer genommen habe und auf sie eingestochen habe“, faßt Benno B. seine Erinnerung an die Tat zusammen. Die Prostituierte Christiane K. verletzte er dabei durch Stiche in Bauch, Brust und Hände lebensgefährlich. Wegen des Angriffs im Oktober 1992 stand Benno B. in dieser Woche vor dem Landgericht Bremen. Die Anklage lautete auf versuchten Totschlag.

Offen war im Prozeß nur die Frage nach der Schuldfähigkeit von Benno B. Denn die Tat selbst bestritt er nicht. Mit Christiane K. sei er zu sich nach Hause gegangen. Beim Geschlechtsverkehr habe ihn eine Bemerkung der Frau so in Rage versetzt, daß er mehrmals zustach. Erst ihre Schreie hätten ihn wieder zur Besinnung gebracht. Daraufhin holte er die Polizei und den Notarzt und ließ sich widerstandslos festnehmen.

Fast ein Jahr nach der Tat sind die Wunden beim Opfer noch nicht verheilt. Bei ihrer Aussage steht die Frau unter Drogen und hat Schwierigkeiten beim Sprechen. „Der Mann hat mir den ganzen Bauch aufgeschlitzt“, sagt sie leise. Acht Finger sind schwer verletzt; sie hatte das Messer mit den Händen abwehren wollen. Beim Weg in den Zeugenstand muß ihre Anwältin sie stützen — als sie an Benno B. vorbeigeht, nennt sie ihn „Schweinehund“ .

Auch Benno B. ist ein kranker Mensch. Bei seiner Aussage macht der übergewichtige Angeklagte lange Pausen und seufzt zwischen den Worten. Als ihn die Vorsitzende Richterin Robrecht nach seiner Biographie fragt, findet er seinen Lebensweg zunächst unwichtig. Aber dann erzählt er doch aus einem Leben, das voll ist von Gewalt gegen sich und gegen andere. Der Vater ein Trinker, der die Mutter und den Sohn regelmäßig schlug. Mit 12 Jahren ging Benno auf seinen Vater, den er „haßte wie die Pest“, mit dem Messer los, wurde darauf ins Heim gesteckt. Mit 14 macht er den ersten Selbstmordversuch, dem zwei weitere folgen, der letzte erst wenige Tage vor dem Angriff auf Christiane K.

Sein Verhältnis zu Frauen ist gespalten. Frauen sind für Benno B. „entweder extrem gut oder extrem schlecht“, meint der psychiatrische Gutachter Helmut Haselbeck. Er bescheinigt dem Angeklagten ein „Borderline-Syndrom“: hochgradige emotionale Labilität. Sein ganzes Leben habe B. unter einer immensen inneren Anspannung gestanden. Um diese zu ertragen, habe er seit seinem fünfzehnten Lebensjahr zu Alkohol und Medikamenten gegriffen, so daß er inzwischen süchtig sei. Auch am Abend der Tat habe er gleichzeitig unter Alkohol und unter Tabletten gestanden.

Die Vernehmung von B.s Ehefrau findet unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Sie gibt zu Protokoll, ihr Mann sei ihr in letzter Zeit „wie zwei Menschen“ vorgekommen: Der eine „lieb und gut“, der andere plötzlich aggressiv. Seine Aggressivität habe er damit begründet, daß „sein Vater jetzt wieder in ihm sei“.

Persönlichkeit, Sucht und den Affekt zusammengenommen, bescheinigt Haselbeck dem Angeklagten eine „tiefgreifende Störung der Einsicht und Steuerungsfähigkeit“. Völlig schuldunfähig sei er aber keineswegs. Ein Entzug solle allerdings erst nach einer möglichen Haftstrafe angeordnet werden.

So plädiert dann auch Staatsanwalt Repmann, für den das Delikt nur noch eine schwere Körperverletzung ist, für dreiJahre und sechs Monate Haft. Der Verteidiger fordert vom Gericht, deutlich unter drei Jahren zu bleiben. Das Urteil wird heute verkündet. Bernhard Pötter