■ Zur Niederlage der japanischen Sozialdemokratie
: Sieg des Fortschritts

Ist der Regierungswechsel in Japan nur ein Pyrrhussieg für all jene, die auf eine totale Wende setzten? Verbergen sich denn hinter den neuen Regenten nicht die alten Politiker? Und waren nicht gerade die Sozialdemokraten statt der konservativen Liberaldemokraten die eigentlichen Verlierer der japanischen Wahlen?

Sicherlich: Mit den Protagonisten der neuen konservativen Parteien in Japan, auf deren Erfolgswelle auch die neue Regierung reiten muß, lassen sich die politischen Verhältnisse des Inselreichs nicht von heute auf morgen umkrempeln. Dem Neuanfang fehlt bislang die politische Programmatik, auch wenn der nunmehr einflußreichste Politiker, Ichiro Ozawa, als erster ein umfangreiches Werk mit vielen für Japan neuen politischen Ideen vorgelegt hat. Insofern hat die Theoriedebatte um den bislang schlechthin undenkbaren Machtwechsel gerade erst begonnen.

Die Niederlage der japanischen Sozialdemokraten aber kann für die demokratische Genese nur Gutes verheißen. Denn der Glaube an die japanische Linke, der beim Kampf gegen den US-japanischen Sicherheitsvertrag in den sechziger Jahren noch sehr populär war, ist längst erloschen. Sogar die japanischen Gewerkschaften haben sich in den letzten Jahren von einer Partei losgesagt, deren Zentralkomitee von Greisen regiert wurde – auf ebenso undemokratische und ignorante Weise wie der politische Opponent, die Liberaldemokraten. Vielen fortschrittlichen Intellektuellen in Japan mag der Abschied von einer Sozialdemokratie nach europäischem Muster immer noch schwerfallen. Doch er war seit langem fällig.

Die neuen Parteien aber werden nur so konservativ sein wie ihre Anhänger selbst. Schon haben die frischgewählten Abgeordneten der „Neuen Partei Japans“ mit ihrer Opposition gegen die Parteiführung ein Bündnis mit der alten Regierungspartei verhindert und den Regierungswechsel erst möglich gemacht. Sie sind nun die Vertreter der städtischen Intelligenz, im Privatleben trainiert auf westlichen Individualismus, in der Politik dennoch stolz auf Japans wirtschaftliche und soziale Errungenschaften – wie etwa die niedrige Arbeitslosigkeit. Diesen Jungpolitikern, die gestern noch im Berufsleben standen, die Fähigkeit auf eine programmatische Erneuerung abzusprechen, würde bedeuten, sie prinzipiell auszuschließen. Jetzt ist learning by doing angesagt.

Japans Linke wird ihre neuen Themen: die Gleichstellung der Frau im Beruf, die betriebliche Mitbestimmung und die Neugestaltung der Freizeitgesellschaft, langsam aber sicher finden; am schnellsten jedoch ohne die Sozialdemokraten und mit dem Schwung einer ganz neuen Mehrheit im Land. Georg Blume, Tokio