■ In Italien starben bei Bombenattentaten fünf Personen
: Explosives Gemisch der Reaktion

In Italien hat es Tradition: Immer wenn irgendwo ein Sprengkörper explodiert weiß jeder brave Politiker, Gewerkschafter, Unternehmer, daß er, nur er oder zumindest seine Politik das eigentliche Ziel gewesen sein kann. So sehen sich nun die Mailänder „Ligen“, die Regierung in Rom, der Antikorruptionsstaatsanwalt Borelli und der wegen erwiesener Unfähigkeit geschaßte Geheimdienstchef Finocciaro gleichermaßen als „die Ziele“ der Attentate, hinzukommen noch der Antimafia-Kämpfer Leoluca Orlando, der Kandidat der Grünen fürs Bürgermeisteramt Roms, Francesco Rutelli, und der Chef der neugegründeten Demokratischen Allianz und christdemokratische Dissident Mario Segni.

Nach jedem Attentat die gleichen Gesichter, die gleichen Sprüche und dazu noch die hintergründigen Mienen der Ermittler – alle mit dem Spruch „Das ist eine Sache, die man gründlichst vertiefen und durchleuchten muß“ auf den Lippen, aber alle gerade so, als würden sie schon morgen die Täter anschleppen. Dabei haben sie bei der neuen Attentatsserie ebenso versagt wie ihre Vorgänger in den 70er und 80er Jahren angesichts des damaligen Bombenterrors.

Vermutlich stehen einer wirklichen Aufklärung aber nicht nur polizeiliche Unfähigkeit und politische Blindheit entgegen. Auch die von der kritischen Presse gesuchte alleinige Ursache und die Annahme, es gebe nur eine einzige Attentäterformation, sind kontraproduktiv. Zu viele sind es, die in Italien vieles aufhalten oder restaurieren wollen. Da sind Geheimdienste, die ihre Existenzberechtigung verloren haben und die nach neuen Betätigungsfeldern suchen. Ihnen kommen Attentate so sehr zupaß, daß sie diese, wenn nicht gar wie in den 70er Jahren selbst organisieren, mindestens nicht verhindern werden. Und da sind Dunkelmännergruppen der Hochfinanz und des Top- Unternehmertums, die existentiell darauf angewiesen sind, daß die Ermittlungen der Antikorruptions- Staatsanwälte zum Halten gebracht werden. Und da sind auch genug Ewiggestrige und auf einen autoritären Staat erpichte Gruppen, die das bestehende Machtvakuum zur Förderung ihrer Pläne nutzen wollen.

Die Strategie der Spannung hat viele Komponenten, und die Attentate haben möglicherweise noch viel mehr Väter, als wir annehmen. Daß der Sprengstoff hier wie dort derselbe ist, besagt da wenig. Es handelt sich dabei immer um Sempex, und der ist heute bei jedem besseren Waffenschieber in jeder gewünschten Menge und Zusammensetzung zu haben.

Nur wenn Italien sich darüber klar wird, daß die Heterogenität und Komplexität des laufenden Erneuerungsprozesses auch ebenso komplexe Reaktionen (offen und im Untergrund) provoziert, wird sich auch das Problem der Attentate konkret angehen lassen und der darum herumwabernde Sumpf wenigstens eingegrenzt, wenn nicht ausgetrocknet werden. Werner Raith, Rom