„Wir müssen manche Arbeit billiger machen“

■ Interview mit dem Präsidenten des nordrhein-westfälischen Landesarbeitsamtes, Karl Pröbsting, zur Zukunft der Arbeit unter Tarif: „Wir müssen diesen Weg gehen“

taz: Herr Pröbsting, in die Diskussion um den zweiten Arbeitsmarkt ist wieder Bewegung gekommen. Zuletzt hat die SPD- Bundestagsabgeordnete Anke Fuchs einem zweiten Arbeitsmarkt das Wort geredet. Wie bewerten Sie solche Vorschläge?

Karl Pröbsting: Zunächst einmal halte ich es schon für einen Gewinn, daß auf breiter Front darüber diskutiert wird, wie wir Arbeitsmarktpolitik in Zukunft organisieren und finanzieren wollen. Sinn der Diskussion darf dabei aber nicht sein, Vorschläge zu machen, um sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen. Wenn zum Beispiel die Arbeitgeber sagen, wir wollen weg von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) hin zur Gemeinschaftsarbeit, dann kommt mir das so vor, als wolle man damit aus der finanziellen Verantwortung flüchten. Dieser Vorschlag zielt vor allem auf Maßnahmen, die wir im Osten Deutschlands durchführen. Vor allem in den Braunkohlerevieren und im Chemiebereich werden dort Arbeiten im Umweltschutzbereich von der Bundesanstalt für Arbeit und der Treuhand gemeinsam finanziert. Die Bundesanstalt zahlt für die dort Beschäftigten – etwa 15.000 – Arbeitslosengeld, das aber nur etwa 45 Prozent des Bruttolohnes ausmacht. Der Rest wird von der Treuhand aufgebracht. Im Westen haben wir aber keine Treuhand. Wenn man nach diesem Muster auch im Westen Arbeit finanzieren will – und darauf laufen die Arbeitgebervorschläge hinaus –, dann müßte der Bund wesentlich mehr Mittel als bisher zur Verfügung stellen. Die Arbeitgeber wollen die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der bisherigen Form abschaffen, um zu einer Entlastung der Lohnnebenkosten zu kommen. Für diese Art der Beschäftigungspolitik müßten dann allein die öffentlichen Haushalte aufkommen.

Das macht ja Sinn, denn der Arbeitslosenversicherung wurden im Laufe der Wiedervereinigung Lasten aufgebürdet, für die nicht allein die Versicherten, sondern die Gesellschaft insgesamt aufzukommen hätte.

Wenn man diesen Weg der Steuerfinanzierung gehen will, muß man aber gleichzeitig einen Konsens darüber erzielen, daß der Fiskus tatsächlich auch das erforderliche Geld für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Aus der Vergangenheit wissen wir aber doch, daß der Fiskus seine Ausgaben für Beschäftigungsmaßnahmen immer von seiner Kassenlage abhängig gemacht hat.

Sie befürchten, daß dann von den rund 380.000 ABM-Stellen kaum etwas übrigbleibt?

Genau so ist das.

Kommen wir zum zweiten Arbeitsmarkt, der mit den ABM- Stellen zunächst einmal nichts zu tun hat. Halten Sie einen zweiten Lohnmarkt für sinnvoll?

Ich gehe davon aus, daß wir in den nächsten zehn Jahren eine derartig hohe Arbeitslosenzahl haben werden, so daß wir uns neue Instrumente für die Beschäftigung von Menschen ausdenken müssen. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie bestimmte Arbeiten, die in Deutschland auf dem ersten Arbeitsmarkt zu teuer und exportiert worden sind, wieder finanzierbar gemacht werden. Dazu müßten sich die Tarifvertragsparteien für bestimmte Arbeiten auf ein niedrigeres Lohnniveau verständigen.

Wie wollen Sie verhindern, daß zum Beispiel diejenigen, die jetzt in einem Reinigungsunternehmen nach Tarif Fenster putzen, durch eine Billigkonkurrenz verdrängt werden?

Für solche Bereiche wäre ein zweiter Arbeitsmarkt nicht akzeptabel, denn da liefe das neue Angebot auf reine Lohndrückerei hinaus.

Gilt das nicht für alle Wirtschaftszeige?

Nein, das gilt weder für alle Wirtschaftszweige noch für den privaten Bereich. So könnten unter den zweiten Arbeitsmarkt z.B. Gartenarbeiten der einfachsten Art fallen, die nicht durch Gartenbaubetriebe heute abgedeckt werden. Auch in der Industrie könnten wieder Arbeitsplätze entstehen, die heute gar nicht mehr in Deutschland angeboten werden. Bestimmte Textil- und Nähtätigkeiten könnten dazu ebenso gehören wie längst nicht mehr vorhandene Gießereiarbeitsplätze. Da gäbe es dann die Konkurrenz zwischen dem ersten und dem zweiten Arbeitsmarkt nicht. Deutschland hat gewiß nicht als Niedriglohnland eine Zukunft, sondern unsere ganze Gesellschaft fußt auf dem Hochlohnland, und daran müssen wir auch festhalten. Das schließt aber nicht aus, für die vielen Millionen Arbeitslosen nach neuen Chancen zu suchen. Über einen öffentlich subventionierten zweiten Arbeitsmarkt werden wir diese Menschen nicht alle in Arbeit und Brot bringen können. Wir müssen den anderen Weg gehen und zunächst die Arbeit billiger machen. Wenn damit kein deutlich über dem Sozialhilfeniveau liegendes Entgelt erzielt werden kann, muß man es durch staatliche Transferleistungen aufstocken. Interview: Walter Jakobs