CC 4061 abräumen lassen!

■ Quecke, Giersch und Hahnenfuß auf den Gräbern: Die Nachkommen vergessen ihre Toten / Es droht der Abräumschein

Es ist eine schier endlose Liste. Sie enthält Namen, lauter Namen. Sie betrifft weit über 2.000 Nachkommen. Leute namens Zitterding, Pollack, Aghaizu, Rudatis, Laupichler, Liebenthron. Sie ist abgedruckt in der Lokalpresse unter „Öffentliche Bekanntmachungen“. Jeder Einzelfall, weiß Herr Godes von der Friedhofsverwaltung des Osterholzer Friedhofes, kann „viel viel Ärger machen“.

Es geht um die „Verlängerung des Nutzungsrechtes an den Grabstellen“. Wer nämlich tot ist, ist nicht aus der Welt. „Der Bestattete hat volles Ruherecht,“ betont Herr Gode, „bei der Urnenbestattung 20 Jahre, bei Erdbestattungen 25 oder sogar 30 Jahre.“ Wer allerdings nach dieser Frist weiter seine Toten ehren will, muß die Grabstelle neu kaufen. Doch wer denkt schon bei jedem Umzug daran, seine neue Anschrift der Friedhofsverwaltung mitzuteilen? Darum die Öffentlichen Bekanntmachungen. Aber wer studiert Öffentliche Bekanntmachungen? Eben! Und darum ist Ärger auf den Friedhöfen, die doch laut Gräbergestaltungsordnung Orte „der Schönheit und Harmonie“ sein sollen.

„Da kommen Angehörige aus den USA oder Berlin - und das Grab ist weg, und die Leute sind aufgebracht,“ skizziert Herr Godes den Streitfall. „Die Leute kümmern sich um Gasverteuerung und Mülltrennungssysteme - aber mit den Friedhofsrichtlinien lebt heute keiner mehr. Niemand will mehr vom Tod was wissen,“ beklagt der Friedhofsverwalter. Mit 53 Mitarbeitern beackert er die 80 Hektar zwischen Osterholzer Heerstraße und Ludwig Roselius-Allee, eine Art Park von 1,5 Kilometer Länge. "Die grüne Lunge des Bremer Ostens“, findet Herr Godes.

Die wenigsten der 2.000 Nachkommen werden sich melden, sie erfahren nichts von der Bekanntmachung oder wollen für die Verblichenen kein Geld mehr ausgeben. Resultat: der Abräumschein. Nach einer Frist wird das Grab eingeebnet und zur Neubelegung freigemacht. Der Grabstein wird nummeriert und ein Jahr lang aufbewahrt. 1000 Grabstellen werden im Jahr abgeräumt; 346 Grabsteine liegen derzeit auf Lager.

Den Niedergang der Totenkultur bekommt der gelernte Gärtnermeister hautnah zu spüren. Auf seinem Schreibtisch liegen Zettel: „6030 total verkrautet - anschreiben!“ oder „CC 4061 abräumen lassen, grünen Grabstein stehen lassen!“ Eigentlich fängt sein Kummer oft schon gleich nach der Beerdigung an. Die Hinterbliebenen interessieren sich nicht für die „Grabmal- und Bepflanzungsverordnung“. Ärger über Ärger: Da wünschte sich der liebe Verstorbene einen Findling, wo doch nur „handwerksgerecht“ und allseitig behauene Steine erlaubt sind. „Und dann heißt es hinterher in der Presse, Friedhofverwaltung verweigerte Verstorbenem letzten Wunsch,“ schimpft Herr Godes. Und erst recht der Grabbewuchs!

Es ist doch so einfach: mindestens 4/5 des Grabes müssen mit Bodendeckern wie Efeu oder Immergrün bepflanzt sein. Ansonsten Kriechender Günsel, Fetthenne und Stachelnüßchen, Scheinbeere und Zwergmispel, Rhododendron impedium „Blue Tit“, Igelfichte oder Zwerglebensbaum - alles in den Richtlinien festgelegt. Doch was tun die Menschen? Pflanzen Tännchen oder Krüppelkiefern, die bald zimmerhoch werden!

Oder schlimmer noch: sie tun gar nichts. Sie lassen „das Grab versiffen“. Selbstverständlich greift auch hier die Grabgestaltungsordnung. Anschreiben, ggf. Adresse ermitteln, ggf. Öffentliche Bekanntmachung, und dann wird, spätestens wenn sich die Eigentümer des Nachbargrabes beschweren, eingeebnet und Rasen eingesät. Man ahnt, was kommt, wenn die Nachkommen kommen: Ärger! Aber komme keiner Herrn Godes mit der Behauptung, man habe sich nur einen Monat nicht ums Grab gekümmert - er vermag sehr wohl frisches Spontanunkraut von alteingesessenen Quecken und Giersch zu unterscheiden! Herr Godes zwischen den Gräbern: seinen Augen entgeht nichts. „Da waren Stiefmütterchen drauf - da war mal guter Wille,“ urteilt er. Und dort hinten, das Grab von Frau Elsa, geborene Bunte: „Die Eiben - noch gucken wir uns das an...“ Aber eigentlich sind sie verboten. „Und was halten Sie hiervon: da ist schon der Wasserhahnenfuß drin!“

Neulich gab es Ärger: mit dem Fernsehn. Da hatten Godes' Leute jahrelang auf einem Grab die Quecke abgesenst, die Krüppelkiefer wuchs in den Himmel, und der Mäherfahrer hatte sich schon dran verletzt. Da wurde abgeräumt. Und schon erschien die Angehörige und schimpfte. Obwohl man ihr anbot, das Grab wieder anzulegen, rannte sie zu Buten & Binnen, dem Rächer erniedrigter Nachkommen. „Und wir standen als skrupellos da,“ sagt Herr Godes. Jetzt sichert er sich ab: Von den versifften Gräbern macht er Fotos.

Burkhard Straßmann