Jäger, Sammler

■ K.D. Tilch, der Rock-Enzyklopädist

Er ist ein vereinnahmender Zeitgenosse: Nicht weniger als 52 Zentimeter Buchregal beansprucht K.D. Tilch mit seinen Veröffentlichungen, den nunmehr zwölf Bänden seines Lexikons der zwischen 1955 und 1990 erschienenen Rock-Langspielplatten und -Compactdiscs (inklusive eines vierbändigen Index mit dem Titel „Rock Musiker“). Zwischen die insgesamt 24 Buchdeckel des hochgradig informativen Tonträgerkompendiums wurden 60.000 LPs gepfropft, 15.000 Interpreten, 85.000 Musiker – ein unentbehrliches Nachschlagewerk.

Die ersten Aufzeichnungen entstanden in den sechziger Jahren, wie sich Tilch erinnert. „Ich hatte meine eigene Sammlung für mich notiert, geordnet, und dann war Ende der siebziger Jahre so viel Material zusammengekommen, daß Freunde sagten, Mensch, daraus kannst du doch ein Buch machen.“ Also ist Tilch weiter durch die Schallplattenläden gewandert und hat sich dort „hingesetzt, stundenlang, die Daten per Hand abgeschrieben und zu Hause noch einmal mit Schreibmaschine abgetippt.“

Ein halbes Jahr lang saß er 14 bis 15 Stunden täglich am Schreibtisch, um die gesammelten Fakten zu fixieren – eine Sisyphusarbeit, die unter dem Anspruch stand, etwas zu Ende zu bringen, was eigentlich zu keinem Ende zu bringen ist.

Computer erleichterten das Zusammentragen und Verwalten der Informationen, machten aber auch zusätzliche Arbeit: „Früher, bei den ersten Computern, gab es keine großen und kleinen Buchstaben, sondern nur Großschrift. Das habe ich später alles mühselig ändern müssen.“ Wohl drei- oder viermal hat er das Gesamtwerk inzwischen überarbeitet, aktualisiert und berichtigt. Große Hilfe sind ihm dabei die Leser selbst: „Die schicken mir Sachen zu, oder ich fahre zu denen hin, kopiere die Sachen, und dann wird das bei mir zu Hause eingegeben.“

Abnehmer des Standardwerkes sind vorrangig Musikjournalisten, aber auch interessierte Sammler. „Sammler heißt nicht unbedingt, daß die gleich tausend Stück haben – ich kenne Leute, die haben 300 Schallplatten und trotzdem möchten sie halt mehr wissen über Querverbindungen. Und die kaufen sich die Bücher. Das ist sehr gemischt, auch vom Alter her. Ich erhalte Zuschriften von 14jährigen ebenso wie von 50-, 60jährigen.“

Manche Korrespondenten sind ein wenig enttäuscht, wenn sie erfahren, daß der Archivar selbst „nur“ über 3.000 Platten und 1.000 Kassetten verfügt. Allerdings sammelt er nach dem Rotationsprinzip. Mehrmals schon hat er seinen Bestand veräußert und dafür aktuelle Veröffentlichungen angeschafft, so daß im Laufe der Jahre tausende Tonträger durch seine Hände gegangen sind.

Weil sich darunter auch recht obskure Werke befanden, ist sein Lexikon mehr als nur ein sprödes Nachschlagewerk – beim Blättern bleibt man immer wieder mal hängen an Interpretennamen wie „Charly Schreckschuß Band“, „Andreas Fluckiger und die Alpinisten“ oder gar „Teflon Fonfara & Maik Glemser“. Wohin auch immer das Schiksal diese vom Erfolg konsequent gemiedenen Herrschaften verschlagen haben mag – dank K.D. Tilch wurden sie und ihr Walten und Wirken immerhin vor dem Vergessen bewahrt. Harald Keller

K.D. Tilch: „Rock LPs 1955– 1970“ (98 DM), „1971– 1980“ (98 DM) und „1981– 1990“ (118 DM), je vier Bände in Kassette, Taurus Verlag, Hamburg