USA äußern milde Kritik an Israel

■ Israel weitet Angriffe im Libanon aus / Über eine halbe Million Menschen auf der Flucht / Islamistische Gruppen drohen mit Anschlägen gegen US-Ziele / USA fordern Einstellung der Kampfhandlungen

Sidon/Tel Aviv/Beirut/Washington (dpa/AFP) – Die israelische Armee hat ihren Vertreibungskrieg gegen Libanesen und Palästinenser im südlichen Libanon erneut ausgeweitet. Die Hafenstadt Sidon wurde schwer bombardiert. Vorgestern und gestern wurden die 350.000 Bewohner Sidons und Zehntausende Flüchtlinge, die aus den südlibanesischen Dörfern dorthin gekommen waren, ultimativ zum Verlassen der Stadt aufgefordert. Ziel heftiger Angriffe war auch die Stadt Nabatijeh. Die Zahl der Luftangriffe auf deren Wohnviertel wurde mit 50 pro Tag angegeben. Das Dorf Kafar Milki im Südlibanon wurde vollkommen zerstört.

Nachdem bereits vorgestern der Beiruter Flughafen getroffen wurde, haben israelische Kampfflugzeuge gestern eine Stellung der marxistischen „Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando“ in dem Dorf Naameh zwölf Kilometer südlich der Hauptstadt zerstört. Auch die Dörfer im Süd- und Ostlibanon wurden pausenlos angegriffen.

Im Gegenzug beschossen moslemische Guerillas mehrere Stellungen der mit Israel verbündeten Südlibanesischen Armee (SLA) innerhalb der „Sicherheitszone“ mit Raketen.

Noch bevor sie einen Überblick über das Ausmaß der neuen Fluchtwelle aus Sidon und Umgebung haben konnten, meldeten UN-Beobachter gestern morgen, daß im Libanon mittlerweile 500.000 bis 800.000 Menschen auf der Flucht seien. Die Vertreibung eines möglichst großen Teils der Zivilbevölkerung aus dem südlichen Libanon ist nach israelischer offizieller Darstellung ein Ziel der Angriffe im Libanon.

Allein gestern vormittag wurden 21 Menschen getötet und 56 verletzt. Insgesamt kamen seit Beginn des Angriffs 111 Menschen ums Leben, über 400 wurden verletzt, mehrheitlich Zivilisten.

In Beirut hat am Donnerstag die Gruppe „Islamischer Jehad“ mit Angriffen auf US-Ziele in der ganzen Welt gedroht, wenn die USA Israel nicht zum Stopp ihrer Angriffe auffordern.

Ohne direkte Nennung Israels als Angreifer hat sich der UN-Sicherheitsrat am Mittwoch im jüngsten Konflikt eindeutig auf die Seite Libanons gestellt: Das höchste UNO-Gremium unterstrich, daß es „die volle Souveränität, die Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und die nationale Einheit Libanons“ innerhalb der international anerkannten Grenzen vorbehaltlos unterstützt.

US-Präsident Bill Clinton hat am Mittwoch sowohl die libanesische Hisbollah als auch Israel zur Einstellung der Kämpfe aufgefordert. Zuvor hatte das US-Außenministerium erklärt, die USA seien „tief beunruhigt“ darüber, daß „beide Parteien“ ihre Attacken „gegen die Zivilbevölkerung richteten“.

Die für Washingtoner Verhältnisse ungewöhnlich kritischen Worte gegenüber Israel folgten Telefongesprächen von US-Außenminister Warren Christopher mit dem israelischen Regierungschef Jitzhak Rabin, dem libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Haririri und dem syrischen Außenminister Faruq Al-Schara.

Christopher plant weiterhin, vom 1. bis zum 5. August in den Nahen Osten zu reisen, erklärte ein amerikanischer Regierungssprecher. Fragen, ob dies auch bei Fortsetzung der Kämpfe gelte, bezeichnete er als hypothetisch. Christopher will Jerusalem, Amman, Damaskus und möglicherweise auch Beirut besuchen. Meldungen, daß Israel die Angriffe vor dem Beginn von Christophers Besuch, möglicherweise schon am Donnerstag abend einstellen wolle, wurden gestern vom israelischen Ministerpräsidenten Rabin dementiert.