■ Die Ängste von Islam und Abendland sitzen tief
: Der Dauerclinch hat längst Tradition

Das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam ist einmalig, weil es aus Faktoren herrührt, die es zwischen anderen Kulturen nicht gibt: seit mehr als 14 Jahrhunderten kennen und befehden sich die beiden immer wieder. Der Grund liegt darin, daß sie sich eher an Ähnlichkeiten denn an wirklichen Unterschieden scheiden: beide haben starkes hellenistisches Erbe, jüdisches, orientalisches – doch beide halten sich für die einzigen Bewahrer des Wortes Gottes. Daraus resultieren die Zusammenstöße.

Die Ängste, die der Westen heute vor dem Islam hat, werden durch zwei falsche Voraussetzungen konditioniert. Die eine behauptet, daß nach dem Fall der Sowjetunion der Hauptfeind der islamische Fundamentalismus ist. Das ist absurd: Selbst wenn er noch so schlimm sein wollte, der Fundamentalismus wird niemals die ideologische, wirtschaftliche oder militärische Kraft aufbringen wie die UdSSR einst. Die zweite Fehleinschätzung ist, daß der Fundamentalismus friedlich sei. Ich glaube allerdings, daß er gefährlicher für die anderen muselmanischen Gemeinschaften ist als für den Westen. Da braucht man nur in den Iran zu schauen.

Umgekehrt müssen die Muselmanen heute nicht mehr die Angst vor militärischer Beherrschung haben – die ist seit dem Kollaps der Sowjetunion vorerst einmal vorbei. Doch auf dem Gebiet wirtschaftlicher Durchdringung und vor allem des kulturellen Einflusses ist das anders, und das beunruhigt die islamische Welt viel mehr. Man muß da genau ihre Worte verstehen: Wenn die Nachfolger Chomeinis vom Satan sprechen, meinen sie nicht den Imperialisten. Satan ist für sie der Versucher. Der erobert nicht, er verführt. Sie fürchten die Versuchung, nicht die Eroberung. Bernhard Lewis

Lewis gilt als einer der kenntnisreichsten westlichen Islam-Forscher, er lehrt an der Princeton-Universität. Der Kommentar ist Teil eines Gesprächs mit der italienischen Zeitschrift „Panorama“