Vernunft alleine reicht nicht mehr

■ Interview mit Sergio Romano über das Kantsche Traktat „Zum ewigen Frieden“

Romano ist einer der bekanntesten Experten Italiens für internationale Politik und war langjähriger Botschafter Italiens unter anderem in Moskau.

Derzeit hat ein schon lange verstorbener Philosoph großen posthumen Erfolg: Immanuel Kant, dessen kleiner Traktat „Zum ewigen Frieden“ derzeit auf vielen Kongressen diskutiert wird. Vor allem seine Forderung nach Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Länder und die Bildung von Föderationen demokratischer Staaten hat viel Widerhall. Kann man mit derlei heute Frieden schaffen?

Sergio Romano: Ich bin in der Außenpolitik kein Kantianer. Es wäre wunderbar, wenn seine Vorstellungen realisiert würden. Man muß aber sehen, welche Schwierigkeiten die Föderationen haben, die sich an seinen Ideen orientiert haben.

Also alles nur eine Utopie?

Nein, das zu sagen wäre falsch, denn in Teilen ist dieses Ideal ja auch verwirklicht worden. Was an der Kantschen Vorstellung meiner Meinung nach nicht funktioniert, ist die Idee, man könne den ewigen Frieden alleine mit Hilfe der Kraft der Vernunft herstellen. Als ob es bereits genüge, derlei Föderationen zu schaffen, und alle Völker verstehen, daß es richtig ist, Kriege zu vermeiden.

Warum reicht die UNO nicht zur Verhinderung von Kriegen?

Die internationalen Föderationen sind nicht aufgrund des Willens von Staaten gleichen Niveaus geschaffen worden, wie das Kant wollte, sondern oft aufgrund einer Entscheidung der Siegermächte der beiden Weltkriege, die den Frieden vor allem zur Aufrechterhaltung des aus den Kriegen hervorgegangenen Gleichgewichts wollten. Dieser Defekt ist der Nationengemeinschaft also bereits immanent und ist im Rahmen der UNO noch verstärkt worden: so hat die Völkergemeinschaft schon den Weltkrieg von 1939 nicht verhindern können, und die Siegermächte haben geglaubt, den föderativen Gedanken noch zu verstärken, indem sie sich das Vetorecht eingeräumt haben. Gottlob hat die UNO dann doch nicht funktioniert ...

Gottlob?

Ja: Hätten die Siegermächte nicht sofort untereinander zu streiten angefangen, wäre ihre Macht heute enorm. Sie hätten jederzeit Interventionen beschließen können, um jedes Scharmützel zu unterbinden, das ihren Interessen zuwiderlief, und wir hätten heute eine aufgezwungene Weltordnung ganz nach dem Willen der Siegermächte des 2. Weltkriegs.

Und aufgrund dieses Defekts schon bei Entstehung der Vereinten Nationen ist es ihnen auch nicht gelungen, Kriege zu verhindern?

Ja. die UNO bewegt sich nur, wenn das Interesse der internationalen Gemeinschaft mit denen der Großmächte übereinstimmt. So etwa im Falle Kuwait: Es gab ein großes internationales Interesse gegen die Annexion Kuwaits, viele kleine Staaten fürchteten, sich bald in ähnlicher Lage wiederzufinden. Doch da war gleichzeitig das Interesse des Westens und speziell der Vereinigten Staaten, das Erdöl nicht in den Staaten des Nahen Osten landen zu lassen. Die dritte dafür förderliche Bedingung bestand darin, daß die UdSSR, der Hauptfeind der USA, in diesem Moment nichts dagegen unternehmen konnte. Das Gespräch führte,

für „L'Espresso“,

Angiola Codacci-Pisanelli