Trümmerfeld vor dem Waffenstillstand

■ Die libanesische Hisbollah bietet ein Abkommen mit Israel an / Die israelischen Angriffe gingen gestern aber noch weiter / Die Regierung in Beirut versucht, den Flüchtlingsstrom zu vermindern

Beirut (AFP) – Mitten in die Meldungen über andauernde israelische Angriffe und Flüchtlingsströme im Libanon platzte gestern nachmittag ein Angebot der Hisbollah-Miliz zum Waffenstillstand. In einer in Beirut veröffentlichten Erklärung des Generalsekretärs der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, heißt es, die Hisbollah wolle die Raketenangriffe auf Nordisrael einstellen, falls die israelische Armee die Luftangriffe auf Südlibanon endgültig beendet. Der ägyptische Botschafter in Washington, Ahmed Maher el Sayed, bestätigte kurz darauf, die US-Regierung habe ihn darüber informiert, daß ein Waffenstillstand „innerhalb der nächsten Stunden“ verkündet werde.

Niemand weiß, wieviel es denn nun genau sind, die vor den israelischen Angriffen aus dem Süden Libanons in Richtung Norden geflohen sind: 360.000? 400.000? Oder sogar bis zu 800.000, wie UN-Beobachter schätzen? Sichtbar ist nur, was zurückgeblieben ist: verlassene Dörfer und Trümmerfelder. Zum Beispiel Basurija, vier Kilometer westlich von Tyros.

„Keine Durchfahrt, die Straße liegt unter israelischem Artilleriefeuer“. Mit diesen Worten hält ein libanesischer Soldat an der Straßensperre den Krankenwagen des libanesischen Roten Kreuzesan. Sobald sie den Wagen erblicken, kommen zwei Mütter mit ihren sieben Kindern aus dem Treppenhaus des Gebäudes. „Mein Mann und mein Sohn wurden bei dem Beschuß verletzt und sind heute morgen nach Tyrus evakuiert worden. Jetzt sitzen wir hier mit drei anderen Familien fest“, klagt Leila Darwisch, eine der beiden Frauen. „Obwohl die Lage hier nicht so schlimm ist wie in den weiter südlich gelegenen Dörfern, sind fast alle Familien aus Basurija geflüchtet, sobald der Rundfunk der proisraelischen Miliz Südlibanesische Armee (SLA) den Namen der Ortschaft als eines der Ziele der israelischen Artillerie erwähnt hat“, berichtet Leila Darwisch. Drei Kilometer weiter gehen zehn israelische Geschosse pro Minute auf Dschuaja nieder. Das ganze Dorf verschwindet in einer Rauchwolke, der Lärm der Hubschrauber erfüllt die Luft.

75 Kilometer weiter nördlich. Die libanesische Regierung hat alle Schulen der Hauptstadt für die Flüchtlinge geöffnet. Andere Flüchtlinge, die kein Dach über dem Kopf mehr bekommen haben, müssen an zusammengefallenen Mauern oder auf Baustellen entlang der Schnellstraße nach Beirut Unterschlupf suchen.

Nahrungsmittel und andere Vorräte sind immer noch rar. Am Freitag kam das erste und einzige Flugzeug mit Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Gerät von Kuwait an. Die Regierung, die den Notstand ausgerufen hat, hat ein Komitee aus fünf Ministern gegründet, um die Verteilung der Hilfslieferungen zu organisieren.

Aber um die Bewohner des Südlibanon dazu zu bewegen, in ihren Häusern zu bleiben, hat die Regierung angekündigt, sie werde nur denjenigen helfen, die in ihrer Heimatregion bleiben.

Derweil haben auch gestern die Angriffe der israelischen Luftwaffe und Artillerie nicht nachgelassen. Am Morgen wurden erneut vier libanesische Zivilisten infolge des Bombardements getötet. Die diplomatischen Bemühungen konzentrierten sich am Freitag auf Damaskus, das gemeinsam mit Teheran die schiitische Hisbollah-Miliz unterstützt. Der iranische Außenminister Ali Akbar Welajati traf überraschend in Damaskus ein. Welajati sprach mit der syrischen Führung sowie mit Hisbollah-Chef Nasrallah.

Wie die libanesische Polizei am Freitag mitteilte, flog die israelische Luftwaffe am Morgen erneut 18 Angriffe gegen zwölf Ziele in Libanon. In der Nacht war Nordisrael mit etwa 50 Katjuscha-Raketen beschossen worden, wie ein Vertreter der proisraelischen Miliz Südlibanesische Armee am Freitag mitteilte. Zu den Raketenangriffen bekannte sich die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) in einer in Sidon veröffentlichten Erklärung. Nach Angaben eines Vertreters der UN-Interimstruppe im Libanon verstärkte Israel in der Nacht zum Freitag seine Truppen im besetzten Teil des Südlibanons mit weiteren 400 Soldaten sowie Panzern und Truppentransportern. Tagesthema Seite 3