: „Ohne langes Gezucke“
■ Henning Voscherau auf Wahlkampftrip in den Bezirken / SPD-Basis teilt den Absolute-Mehrheit-Optimismus nicht Von Uli Exner
Mindestens zweimal greift der Kandidat in seiner Wahlrede tief in die demagogische Trickkiste. Gegen Rechts – „also Leute, ich warne Euch ... wegen des Anstands und wegen der Arbeitsplätze, es könnte Eurer sein“. Und gegen Koalitionen – „das Elend der nächtelangen Streitereien“, Entscheidungen würden gebraucht „ohne wenn und aber, ohne langes Gezucke“. Henning Voscherau auf Wahlkampf-Tour. 16mal will er in diesem Monat seine beiden zentralen Botschaften an die Basis bringen.
Rund 300 Menschen haben sich gestern nachmittag im Grünzug an der Altonaer Thadenstraße zum etwas großspurig „Zentrale Sommerveranstaltung“ getauften Auftritt des Ersten Bürgermeisters eingefunden. Bratwurst, Bier, Kinderspiele, Musik, lange Holzbänke. Volksfeststimmung? Fehlanzeige, auch wenn die sozialdemokratischen Funktionäre sich sehr darum bemühen, jenen Absolute-Mehrheits-Optimismus zu verbreiten, den Voscherau seiner SPD-Vorstandschaft verordnet hat.
Nee. Die Basis schüttelt den Kopf. Absolute Mehrheit? „Die haben einfach zu viel Mist gemacht.“ Oswald S. ist seit 30 Jahren Mitglied der Hamburger Sozialdemokraten, er wird Henning Voscherau auch dieses Mal wählen, aber vormachen lassen will er sich deshalb trotzdem nichts. 30 Jahre Sozialdemokratie, da fließen die Versäumnisse nur so von den Lippen: „Hafenerweiterung, Flughafen, Nahverkehr...“. Absolute Mehrheit? Nee.
Halt, liebe Anhänger der Grün-Alternativen, nicht zu früh frohlocken. So meint Oswald S. das nun auch wieder nicht. Kritik ja, aber nicht gerade im grünen Sinne. Nach seiner Ansicht braucht Hamburg einen neuen Flughafen im Umland, mehr Hafenflächen und U-Bahnen. Und weil Politik eben auch an der Basis recht kompliziert sein kann, hält Oskar S. die GAL dennoch für den einzig wünschenswerten Koalitionspartner.
Da er damit bei der Altonaer SPD-Basis gar nicht alleine steht, verzichtet Kandidat Voscherau an diesem Nachmittag auch auf eine Extra-Attacke gegen die Grünen, mokiert sich lieber über die FDP. Da widerspricht ihm wenigstens keiner.
Nee. Günter K. hat eigentlich keine Lust mehr zum Wählen. „Das taugt ja doch alles nix,“ erklärt der Rentner aus dem 50er-Jahre-Wohnsilo gleich um die Ecke ... und überlegt einen Moment. „Wie heißen die doch gleich ... NPD? ... Union? ... ja richtig, DVU, die werde ich diesmal wählen.“
Auch Günter K. wird mit seiner Entscheidung nicht alleine bleiben. „Wir haben das extra hier gemacht“, erklärt ein Altonaer Voscherau-Wahlhelfer und weist auf die umstehenden Hochhäuser.
17 Prozent haben hier bei den letzten Europa-Wahlen für die rechten Parteien gestimmt. Da werden auch 16 Bürgermeisterreden nichts nutzen, selbst solche nicht, die der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe als „in Wahlkämpfen nie erlebte Publikumsbeschimpfung“ klassifiziert.
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