Nachschlag

■ Bei den Podewiler Hofkonzerten

Wenn sich alljährlich das große Sommerloch auftut, die Opern einfach schließen, die Philharmoniker gar nicht mehr vorhanden zu sein scheinen, die Konzertreihen einfach abbrechen – wird es Zeit fürs klimatische Surrogat: die Zeit der Open-air-Konzerte ist angebrochen. Wer dann in Berlin ein Bierchen schlürfend unter freiem Himmel gemäßigten Jazz oder gemäßigte Klassik oder gemäßigten Rock oder gemäßigte Ethno-Musik hören will, kommt auf seine Kosten. Gemäßigt nur muß es (meist) sein. Das Podewil tut da fleißig mit und bietet über Juli und August jedes Wochenende freitags Klassik, samstags Jazz, das Ganze im hauseigenen Hof.

Auf einer kleinen, dem flügelbetürten Hauseingang vorgeschobenen Terrasse plazieren sich die Musiker mit ihren Instrumenten. Das Publikum darf sich auf weißen Bänken aufreihen oder, etwas gelockerter, seitlich verschoben unterm Blätterdach an runden Tischen Platz nehmen. Im Hintergrund brummt leise der Verkehr der Leipziger Straße, Martinshörner tönen seltener, und nur in Wochenend-Intervallen rattert die S-Bahn vorbei.

Selbige wartete das Kubelik-Trio aus Prag letztes Wochenende noch ab, bevor es sein rein tschechisches Programm mit einem Klaviertrio des hierzulande eher unbekannten Suk eröffnete. Da ist der Geiger Jan Talich, und er liebt die große Geste, trägt auch passend eine hübsche Schärpe dazu. Der Cellist Karel Fiala dagegen spielt eher kontrolliert zurückhaltend, Orchestermusiker-typisch, die Pianistin Kviteslava Bilynski baut vorerst forciert bescheiden am Hintergrund.

Theatralische Hauptperson aber ist die Umblätterin, die schmal, blond und ätherisch, fast schwindsüchtig-vergeistigt, geradezu Ingmar Bergmans Film „Das Schweigen“ entsprungen zu sein scheint. Wie sie, den ganzen Betrieb am laufen haltend, immer wieder, zunächst von Musiker- und Instrumentenkörpern verdeckt, gleichsam aus dem Nichts auftaucht! Den Rhythmus des Seitenwendens vollziehend, bindet sie sich wie ein Chor in die griechische Tragödie unabdingbar ins Spiel ein.

Das Spiel der Mitakteure aber liebt dazu das ungebrochen Sentimentale, vergißt darüber bisweilen die Tempi und gewinnt statt dessen die bleierne Schwere verflossener Wunderkindträume. Das Stück von Martinů leidet da am ärgsten, ist nicht geschrieben, das Bedeutung-Herbeisehnen zu verkraften, würde viel lieber seinen rhythmischen Witz versprühen – und ein wenig erschrecken und zupacken, in seinen schroff aneinander montierten Teilen. Den abschließenden Smetana laß ich denn lieber alleine ausklingen, gebe mich statt dessen den Klängen der heimkehrenden U-Bahn hin – nicht ohne die unfaire Frage zu notieren, ob es denn nicht Bände spricht, wenn ein Geiger mit seinem Schweißtuch erst die Nase und dann sein Instrument abputzt. Fred Freytag