Per Video ins Umland

■ SFB hat bereits 30 Streifen produziert / Nicht alle Themen verkaufen sich auch

Wer hat sie nicht schon einmal morgens im Radio gehört, im Werbeblock kurz vor den Nachrichten, die Toccata in d-Moll von Johann Sebastian Bach? Sie wirbt auf einer Videokassette für den vor sieben Wochen wiedereröffneten Berliner Dom. Doch was es heute bereits in der Filmkonserve gibt, dürfen Berliner und Touristen erst Ende 1994 persönlich in Augenschein nehmen. Die Kassette zeigt Aufnahmen aus der noch nicht zugänglichen Fürstengruft, in der heute noch rund 100 Prunksärge restauriert werden. Die Zuschauer können Dombaumeister Rüdiger Hoth begleiten, sehen, wie den Engeln zu altem Goldglanz verholfen wird oder Demonstranten Kanzler Kohl bei der Einweihungsfeier am 6.Juni mit Buh-Rufen und Pfiffen begrüßen.

Das Dom-Video ist eines von rund 30 Kassetten über Berlin, das Umland und die neuen Bundesländer, die seit dem Fall der Mauer der Sender Freies Berlin in Zusammenarbeit mit beispielsweise dem Monopol-Verlag oder der Screen- Entertainment-Vertriebsgesellschaft produzierte. Als aktueller Nachfolger erschien kürzlich ein neues Video „Gruß aus Potsdam“, pünktlich zum 1000jährigen Jubiläum.

Mpf-ta, mpf-ta und rumm-ta-ta pusten und singen das Polizeiorchester Potsdam und die Schöneberger Sängerknaben aus dem Recorder. Dabei scheint jedoch der Informationsaspekt, den sich der SFB zur Aufgabe gemacht hatte, irgendwo auf dem Weg von Potsdam nach Berlin auf der Strecke geblieben zu sein. Mit einem mageren Begleitheft und Untertitel für die Potsdamer Sehenswürdigkeiten wird der SFB seinem eigenen Anspruch untreu. Den Gipfel der Ungeschicklichkeit zeigen jedoch Aufnahmen von Potsdam 1936, unterlegt mit Musik von Louis Ferdinand Prinz von Preußen. Dazu singt Eva Dobrzinski ihren selbstgedichteten Text: „In stillen Gärten such' ich das lang verlor'ne Glück/ Doch keiner meiner Träume holt jene Zeit zurück.“

Mit dem Fall der Mauer entdeckte der SFB die Marktlücke, in die neben Hits auch Flops rutschten. „Ein Volk sprengt seine Mauern“ gehört in die erste Kategorie. Als Zweitverwertung von bereits gesendeten Reportagen über die Ereignisse des 9. November 1989 verkaufte sich der Erfolgsstreifen bis heute rund 300.000mal. „Ein Flop war hingegen das Video über den Hauptstadtbeschluß“, muß Carsten Bestmann von der SFB- Werbung GmbH zugeben. Aber dazu müsse man auch stehen. Es sollen noch rund 15 Produktionen in diesem Jahr folgen, so beispielsweise in der „Edition die neuen Bundesländer“ eine Kassette über Thüringen. Jedes Video werde mit einer Stückzahl von 20.000 bis 30.000 kalkuliert und soll auch in anderen Sprachen angeboten werden, wenn es sich erfolgreich verkaufen lasse.

Die Kassetten haben jeweils eine Spieldauer von rund 45 Minuten und kosten zwischen 30 und 50 Mark. Wer das zu teuer findet und auf den Videospaß trotzdem nicht verzichten möchte, kann jede Nacht nach Sendeschluß im Fernsehen auf B1 eine halbe Stunde S-Bahn fahren. Ob auch dieser Streifen bald im Handel erscheint? Früher jedenfalls zählte man noch Schäfchen, um ins Reich der Träume zu gelangen. Susanne Landwehr