Tirana: Demonstration gegen Verhaftungen

■ Berisha geht gegen Opposition vor

Tirana (taz) – Albaniens Hauptstadt Tirana erlebte am vergangenen Freitag die seit langem größte Kundgebung. 15 bis 25.000 Demonstranten protestierten gegen die Verhaftung des Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Fatos Nano. Ihm war erst vier Tage zuvor vom Parlament die Immunität entzogen worden. Dem Chef der Wendekommunisten wird Amtsmißbrauch und Fälschung von offiziellen Unterlagen vorgeworfen: Während seiner Amtszeit als Ministerpräsident von Februar bis Juni 1991 seien im Rahmen einer Hilfslieferung der italienischen Regierung Gelder in der Höhe von über acht Millionen Dollar veruntreut worden. In Italien wird in diesem Zusammenhang gegen den ehemaligen Außenminister De Mikelis und den ehemalien stellvertretenden Außenminister Vitalone, in Albanien gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Ramiz Alia ermittelt.

Die Kundgebung, die von der Sozialistischen Partei, der größten Oppositionspartei, eigentlich als Protest gegen die Aufhebung der Immunität Nanos organisiert worden war, gewann an „Dynamik“, als der Sozialistenchef nur knapp drei Stunden vor Beginn der Demonstration verhaftet wurde. Die Teilnehmer blieben nicht mehr auf dem ihnen zugewiesenen Platz am Stadtrand, sondern zogen ins Stadtzentrum. Die Versuche der Polizei, sie zurückzudrängen, scheiterten. Den Regierungskräften wurde von den Demonstranten „Revanchismus“ vorgeworfen. Sie bezeichneten sie als Neofaschisten und forderten den Rücktritt der Regierung von Aleksander Meksi sowie vorgezogene Neuwahlen.

Obwohl ein Großteil der Bevölkerung die Beschuldigungen gegen Nano für glaubwürdig hält, wird die Kritik an der regierenden Demokratischen Partei immer lauter. Der Unmut richtet sich gegen die Maßnahmen, mit der die Regierung gegen die Opposition vorgeht. So wurde der Vorsitzende der Nationalen Einheitspartei Bequiri am 12. Juli aufgrund einer Anklage von Präsident Berisha zu sechs Monaten Freiheitsentzug verurteilt, weil er diesen beleidigt hatte. Bequiri hatte in einem Zeitungsartikel Berishas Wirtschaftspolitik und dessen Umgang mit der „nationalen Frage“ kritisiert und als „Mörder des albanischen Volkes“ bezeichnet. Eine albanische Zeitung titelte daraufhin „Sali Berisha – Diktator?“

Inzwischen wurden außerdem die Hauptorganisatoren und einige Teilnehmer der Demonstration festgenommen. Am Samstag abend holten Polizisten den Chefredakteur der Zeitung Zeri i popullit, dem Organ der Sozialisten Partei, aus der Redaktion. Er sollte auf der Polizeiwache „einige Fragen beantworten“. Etwas später wurde seine Festnahme offiziell bestätigt. Matthias Kalusch