Erleichterung in Israel

Offensive im Libanon beendet: nach einem enormen Kriegsaufwand höchst fragwürdige Resultate / Spannungen in der besetzten „Sicherheitszone“ werden weitergehen  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Mit dem Inkraftreten des von US-Außenminister Warren Christopher ausgehandelten Waffenstillstands atmete die israelische Bevölkerung am Samstag abend auf. Vor allem die Bewohner der Siedlungen entlang der israelischen Nordgrenze, die im Laufe dieses Siebentagekrieges im Libanon in Massen ins Landesinnere geflohen waren, waren erleichtert und begannen mit den Vorbereitungen für die Heimkehr. Dies allerdings nur zögernd, weil noch nicht klar ist, wie lange der Waffenstillstand aufrechterhalten werden kann. Anders als die etwa 400.000 libanesischen Flüchtlinge, die angesichts der schweren israelischen Angriffe gen Norden fliehen mußten, kehren die Israelis in unversehrte Wohnungen zurück, während in mehr als 80 libanesischen Dörfern entsetzliche Verheerungen herrschen.

Ministerpräsident Jitzhak Rabin, seine Regierungsmitglieder und Generäle klopfen sich jetzt selbst auf die Schultern und finden, daß das Hauptziel der Operation „Din ve Cheshbon“ (in amtlicher englischer Übertragung: accountability) erreicht sei. Stabschef General E. Barak findet die Resultate sogar besser als ursprünglich beabsichtigt. Rabins Angaben zufolge beinhaltet das Waffenstillstandsabkommen zwei Punkte: die schiitische Hisbollah (Partei Gottes) wird keine Katjusha-Raketen auf israelisches Staatsgebiet mehr feuern, und Israel soll zusammen mit seiner südlibanesischen Söldnertruppe (SLA) auch weiterhin in der besetzten „Sicherheitszone“ frei schalten und walten können. Aus der Sicht des israelischen Außenministers Shimon Peres hat Hisbollah versucht, „den Friedensprozeß zu ermorden und bildete ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden. Wir mußten dieses Hindernis aus dem Weg räumen.“

Angenommen, dies seien tatsächlich die Ziele des Krieges gewesen: wurden sie nach Abwurf von hunderten Tonnen von Bomben und nach Abschuß von 30.000 Kanonenkugeln schwersten Kalibers wirklich erreicht? Verschiedene Beobachter und Kommentatoren in Israel äußern hier ihre Zweifel. In der Tat ist es nicht vorstellbar, daß Hisbollah durch die Offensive tatsächlich unschädlich gemacht wurde. Politisch wird sie durch die israelische Operation eher radikalisiert, und die Sympathie der Bevölkerung für sie wird im Libanon nur wachsen. Militärisch kann Hisbollah weiter die israelische Besatzungszone im Südlibanon verunsichern.

Zeev Schiff, der erfahrene Militärkommentator der Zeitung Haarez, bezweifelt, daß die Hisbollah ihre Aktivitäten in der „Sicherheitszone“ einstellen werden. Die Auseinandersetzungen und Kämpfe in diesem Streifen werden also weitergehen, solange dieses libanesische Gebiet von Israel besetzt bleibt, schreibt Schiff.

Ein politischer Kommentator von Haarez faßt das Ergebnis des Kriegs mit den Worten zusammen: „Die Operation ist geglückt, aber der Patient ist dabei nicht gesundet.“ Was die weiteren politischen Resultate anbelangt, so geht der syrische Präsident Hafiz Al Assad als eigentlicher Sieger aus der Affaire hervor – er läßt sich als milder, ernster und friedliebender Staatsmann feiern. Den guten Willen, den Assad zeigte, werden die USA bei den künftigen Friedensverhandlungen wohl mit Druck auf Israel honorieren.

Gleichzeitig hat die viel zu riskante Operation gezeigt, daß ohne die USA in der Region nichts mehr läuft: Washington agiert als Weltpolizist und die Intervention der USA hat Israel davor gerettet, noch einmal, wie nach der Libanon-Invasion im Jahre 1982, im libanesischen Sumpf zu versinken. Diesen Dienst wird sich Washington noch bezahlen lassen.

Andere israelische Beobachter sind der Meinung, daß eine Militäraktion solchen Ausmaßes (und vor allem eine, die gegen die Zivilbevölkerung gerichtet war) gar nicht notwendig gewesen sei. Wie verschiedentlich in der Vergangenheit hätte Israel auch diesmal auf politisch-diplomatischen Wegen „stille“ Abkommen über „rote Linien“ mit arabischen Nachbarn wie Syrien und Libanon treffen können. Es wird immer wieder hervorgehoben, daß der große Kriegseinsatz in keinem ersichtlichen Verhältnis zu den sehr beschränkten und fragwürdigen Resultaten steht, die eigentlich nur den status quo von vor einem Jahr an Israels Nordgrenze wiederherstellt.

Die Frage ist, ob jetzt wenigstens eine Grundlage geschaffen wurde, die es dem US-Außenminister Christopher bei seinem Besuch in der Region vielleicht ermöglicht, den Friedensprozeß neu einzufädeln.