■ Schlafentzug, Nötigungen und Manipulationen
: Über EG-"Vermittler" Lord David Owen, das Doppelspiel der USA und die schweigenden Zaungäste bei der Liquidation Bosnien-Herzegowinas

Schlafentzug, Nötigungen und Manipulationen

Es klingt ungeheuerlich. „Präsident Izetbegović ist von den beiden sogenannten Vermittlern der EG und UNO durch massiven Druck und Täuschung in die Zustimmung zu den Verfassungsprinzipien hineingezwungen worden, deren Umsetzung zur endgültigen Vernichtung des Staates Bosnien- Herzegowina führen würden.“ Francis A. Boyle, Völkerrechtler und Rechtsberater der bosnischen Regierung, erklärte, die „Verfassungsvereinbarung über die Union der Republiken von Bosnien Herzegowina“ enthalte Formulierungen und Garantien nicht, die die beiden Vermittler zugesagt hätten.

In Artikel 1 heißt es, daß die Union gebildet wird „aus drei verfassungsmäßigen Republiken und drei Verfassungsvölkern: Muslimen, Serben und Kroaten“. Damit, so Boyle, sei nicht klar, ob die Union ein „Staat“ sei und Mitglied der UNO sein könne. Er verwies auf Artikel 4 der UNO-Charta, wonach die Mitgliedschaft ausschließlich „Staaten“ vorbehalten ist. Nach Boyles Einschätzung würde die UNO-Generalversammlung eine lediglich bosnische Union ebensowenig als UN-Mitglied aufnehmen wie die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandene GUS.

Den bosnischen Antrag, festzuschreiben, daß die Union ein „Staat“ und der völkerrechtliche Nachfolger des bisherigen UNO- Mitgliedes Bosnien-Herzegowina werde, lehnten Owen und Stoltenberg wegen serbischer und auch kroatischer Einwände ab. In einem Schreiben an die beiden Vermittler machte Izetbegović seine endgültige Zustimmung zu der Verfassungsvereinbarung von einer „völkerrechtlich unzweideutigen“ Neuformulierung von Artikel 1 abhängig. In ihrer Antwort beschieden Owen und Stoltenberg den Präsidenten mit dem Hinweis auf die von der Londoner Jugoslawien-Konferenz der UNO und EG im August 92 verabschiedeten „Prinzipien“ sowie auf Resolutionen des Sicherheitsrates. Das seien ausreichende „Garantien für die Souveränität, Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina als einem Mitgliedsstaat der UNO“. Boyle verteilte in Genf das Protokoll einer Unterredung, die er und die drei anderen Rechtsberater der bosnischen Regierung am Samstag morgen mit Paul Szass, dem Autor des Briefes und Rechtsexperten von Owen und Stoltenberg, geführt haben.

Szass soll seinen Gesprächspartnern erklärt haben, es sei „die Absicht der von Owen und Stoltenberg vorgelegten Vereinbarung, Bosnien-Herzegowina in drei unabhängige Staaten aufzuteilen“. Gestern stellten sich zahlreiche in der bosnischen Delegation vertretenen muslimischen und kroatischen Oppositionspolitiker, voll hinter die von Boyle öffentlich formulierte Kritik und forderten die Ablösung von Owen und Stoltenberg. Owen läßt nach Informationen der taz in den USA inzwischen nach Material suchen, um Boyle zu diskreditieren.

Jeder, der in dieser Verhandlungsphase den Tisch verläßt, würde – und wenn er dafür noch so gute Gründe hat – international zum Sündenbock gestempelt. Nicht zuletzt deshalb beteiligte sich Izetbegović trotz der ungeklärten Verfassungsfrage weiterhin an den Verhandlungen über die territoriale Aufteilung der künftigen Union. Auch seine Äußerung in einem in der Nacht zum Sonntag ausgestrahlten Interview mit Sarajevo, wonach es der Delegation gelungen sei, Bosnien-Herzegowina als Staat zu erhalten und seine fortgesetzte UNO-Mitgliedschaft zu sichern, bedeute „keineswegs“, daß der Präsident die von Boyle formulierte Kritik nicht „voll“ teile, erklärte Bosniens Botschafter in Genf, Mustafa Biejčić, gegenüber der taz. Dieses Interview habe der „Beruhigung der Bevölkerung“ dienen sollen. Izetbegović bleibe „ohne Abstriche bei seinem Vorbehalt gegen die Verfassungsvereinbarung“. Es sei allerdings „ein Fehler gewesen, daß der Präsident unter „unerhörtem Druck“ der Vereinbarung von Owen und Stoltenberg „mündlich zugestimmt habe, ohne sich vorher mit seinen Rechtsberatern über die endgültige Textfassung zu konsultieren“.

Für die entscheidende Verhandlungsrunde am letzten Freitag hatten Owen und Stoltenberg die Teilnahme wohlweislich auf die Führung der Delegationen beschränkt. Den beiden Vermittlern mit ihrem Rechtsexperten Szass sowie Milošević, Tudjman, Karadžić und Boban saß Izetbegovic daraufhin alleine gegenüber. An seiner Seite hatte er lediglich das bosnische Präsidiumsmitglied Fikret Abdić. Obwohl der selbst Muslim ist, hatten ihn Owen und Stoltenberg bereits vor vier Wochen fast dazu gewinnen können, den widerborstigen Präsidenten wegzuputschen. Der bei der Sitzung auf dem Tisch liegende zweite Textentwurf der beiden Vermittler (den ersten hatte das bosnische Präsidium noch am Freitag morgen mit sieben gegen drei Stimmen abgelehnt) war in Englisch verfaßt, einer Sprache, die Izetbegović kaum beherrscht. Zudem war der Präsident todmüde und völlig abgekämpft nach bereits drei Verhandlungstagen von jeweils über acht Stunden sowie zermürbenden nächtlichen Krisensitzungen im Hotel der Delegation. Owen und Stoltenberg nutzten diesen Umstand kalt aus. Als Izetbegović immer noch Widerstand leistete, erklärte Owen, wenn er jetzt nicht endlich zustimme, werde „der UNO-Sicherheitsrat die bosnische Regierung in die Hölle schicken“.

Druck auf Izetbegović

Siebenmal im Verlauf der rund vierstündigen Sitzung wollte Izetbegović die Verhandlungen unterbrechen und den Raum verlassen. Jedesmal zwangen Owen und Stoltenberg ihn zurück in seinen Stuhl.

Diese – aus der bosnischen Regierungsdelegation inzwischen bestätigte – Episode sollte eigentlich nicht aus dem hermetisch abgeriegelten Verhandlungssaal im ersten Stock des Genfer UNO-Palastes dringen. Doch in seinem triumphalen Überschwang nach Verkündung der Vereinbarung (ein Triumph für Karadžićs „Republika Srpska“) plauderte Serbiens Präsident Milošević diese und andere Interna gegenüber dem Belgrader Fernsehen aus. Als Zeitungskorrespondenten Konferenzsprecher John Mills Freitag nacht nach einer Bestätigung für diese Darstellung baten, verlor dieser zum erstenmal seit seinem Amtsantritt vor sechs Wochen die Kontrolle und verfiel in wüste Beschimpfungen. „Fuck Milošević“, schrie Mills mehrfach – um dann hinzuzufügen, man könne ihn hiermit ruhig zitieren. Bei dieser Gelegenheit räumte Mills auch ein, was er bislang immer bestritten hatte: daß er „auf strikte und präzise Anweisung von Lord Owen“ hin den (bis heute nicht offiziell veröffentlichten) Text der Verfassungsvereinbarung nur „bestimmten Agenturen, Zeitungen und elektronischen Medien übergeben“ durfte. Gemeint war die Londoner Times, Owens erste morgendliche Lektüre.

Die Übergabe geschah jeweils mit ausführlichen Erläuterungen der Punkte, die Owen und Stoltenberg in der Öffentlichkeit gerne als Zugeständnisse an die bosnische Regierungsdelegation verstanden wissen wollten. Bei einer dieser Spezialunterweisungen ausgewählter Medien (die er noch immer bestreitet) vom Genfer Berichterstatter des ARD-Hörfunks überrascht, kam Mills auch nicht umhin, diesem ein Exemplar des Textes auszuhändigen. Mills hatte Anfang Juni die Nachfolge des erfahrenen Profis Fred Eckardt angetreten, der zur großen Zufriedenheit der Journalisten während der ersten neun Monate der Genfer Verhandlungen als Konferenzsprecher fungiert hatte. Eckardt war auf seinen Arbeitsplatz in der New Yorker UNO-Zentrale zurückgekehrt, als Owen ihm im Mai erklärte, jetzt gehe es darum, ein „schmutziges Geschäft durchzusetzen“. Dabei könne er nur Leute brauchen, auf die er sich hundertprozentig verlassen könne und die auch keine von ihm und Stoltenberg nicht vollständig kontrollierten Informationen an die Medien lieferten. Im Mai entschieden die USA und Rußland gemeinsam mit den Sicherheitsratsmitgliedern Großbritannien, Frankreich und Spanien, den bis dato von UNO und EG verfochtenen Vance- Owen-Plan fallenzulassen.

Schmutzige Geschäfte

Wenig später verkündete EG-Vermittler Owen in Genf – ohne vorherige Konsultation mit all seinen zwölf Auftraggebern – das „Scheitern dieses Planes“, das er vor allem mit den „muslimisch-kroatischen Kämpfen in Zentralbosnien“ begründete. An der Durchsetzung des jetzt anstehenden „schmutzigen Geschäfts“ wollte sich Eckardt nicht beteiligen. Auf Owens Auftrag hin besorgte er mit dem Australier Mills, der als ehemals freier Journalist erst kurz zuvor im UNPROFOR-Hauptquartier in Zagreb angeheuert hatte, genau den Mann, der jetzt gebraucht wurde. Als er einmal in einem Hintergrundgespräch erklärte, die bosnischen Muslime hätten jetzt „nur noch die Wahl, zu sterben oder zu verhandeln“, und Owen diesen Satz am nächsten Morgen in der Londoner Times las, wurde Mills von dem EG-Vermittler so zusammengestaucht, daß er jetzt nur noch vorher aufgeschriebene Sätze von sich gibt. Zu Beginn der laufenden Verhandlungsrunde am letzten Dienstag wurde auf Owens Anordnung zusätzlich eine strikte Nachrichtensperre verfügt. Die Abschirmung der Delegationen von den Journalisten auf dem UNO-Gelände wurde vor allem in den ersten drei Verhandlungstagen mit äußerst ruppigen Methoden und unter UNO-satzungswidrigem Einsatz der Genfer Polizei durchgesetzt, die mit ihren Fahrzeugen in wartende Journalisten hineinfuhr. Erst auf massive Proteste der Berichterstatter hin wurden die Botschafter Deutschlands und anderer EG-Staaten bei der belgischen EG-Ratspräsidentschaft vorstellig, die wiederum bei Owen intervenierte. Am Freitag durfte dann endlich ein Mikrofon installiert werden für diejenigen Delegationen, die sich gegenüber Journalisten äußern wollten. Über die Vorgaben des EG-Ministerrates oder auch des politischen Lenkungsausschusses habe sich Owen „einen Dreck geschert“, erklärte letzte Woche der Botschaftsrat eines der vier großen EG-Länder. De facto sei die Balkanpolitik der bei der Genfer Jugoslawien-Konferenz durch UNO-Sicherheitsrat und die EG repräsentierten internationalen Staatengemeinschaft durch die Achse London–Moskau–Washington bestimmt worden.

Das läßt sich in dieser jüngsten Verhandlungsrunde auch an Personen konkret festmachen. Die Hauptakteure dieser wahrscheinlich letzten Genfer Verhandlungsrunde sind neben Owen die Bosnien-Beauftragten der Regierungen in Washington und Moskau, Bartholomew und Tschurkin. Vor allem Bartholomew übt massiven Druck auf die bosnische Regierungsdelegation aus, endlich zu kapitulieren. Diese Delegation läßt sich inzwischen auch durch Clintons jüngste Andeutungen über einen Einsatz der Luftwaffe „nicht mehr täuschen“. Ein Delegationsmitglied erklärte der taz gegenüber, die USA sollen „gezwungen werden, dieses Doppelspiel aufzugeben“. Dann werde es auch leichter sein, der Bevölkerung zu Hause die Kapitulation zu verkaufen, die Izetbegović am Genfer Verhandlungstisch vielleicht schon heute unterschreiben muß.