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Hoch die Internationale Solidarität!

■ Mehr als 8.000 Menschen wollten in Bischofferode „Zeichen setzen“ / Wolfgang Thierse spricht von einem „verteilungspolitischen Skandal“

Bischofferode (taz) – „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk“, dieser Ausspruch des Revoluzzers Thomas Müntzers, nach dem das Kali- Werk benannt ist, ziert in Stein gemeißelt den Eingang am Werkstor. Um die Müntzer-Büste ist ein Transparent gewickelt: „Kali-Fusion nein!“ Für Heiner Brodhun, Betriebsrat, sollte der gestrige „Internationale Solidaritätstag“ „ein Zeichen setzen, daß nicht nur eine ganze Region hinter dem Hungerstreik der Kali-Kumpel steht, sondern eine ganze Nation“. Die Solidaritätsgrüße rollten vor allem aus dem Faxgerät: von den Philippinen, aus Brasilien, Kolumbien, USA und zahlreichen europäischen Ländern. Etwa Achtttausend waren gestern nach Bischofferode gekommen, sogar aus Belgien war eine Delegation eines ebenfalls besetzten Chemiekonzerns angereist.

„Das weiche Wasser höhlt den Stein“, singt eine junge Frau zur Gitarre auf der Bühne. Später treten noch eine lokale Blaskapelle in blauweißer Uniform und die Puhdys auf. Bratwurstfahnen ziehen über das Gelände und einige Trotzkisten versuchen, ihre Traktate an den Arbeiter zu bringen. Die Solidaritäts-T-Shirts mit dem Aufdruck „Bischofferode ist überall – Das Volk sind wir“ verkaufen sich weitaus besser.

Über zwei Stunden dauert die Kundgebung vor dem Hintergrund der rötlich leuchtenden Abraumhalde. So zahlreich sind die RednerInnen von Betrieben vor allem aus dem Osten, die den Kumpel Mut zusprechen wollen. Es geht ihnen nicht nur um den Erhalt von Arbeitsplätzen, gefordert wird eine Trendwende in der Wirtschaftspolitik. „Es ist ein Kampf wie David gegen Goliath“, sagt Gerhard Jütemann, stellvertretender Betriebsrat. „Und unsere Schleuder ist die Massensolidarität. Eines ist uns in den letzten Wochen klar geworden: als einzeln kämpfender Betrieb gehen wir unter, als Bündnis werden wir siegen.“ Auch andere wollen der Arbeitsplatzvernichtung nicht länger zusehen. „Bis hierher und nicht weiter“, sagt ein Betriebsrat aus dem Kugellagerwerk Zella Mehlis. Ein anderer droht: „Wir haben schon einmal einen Verein zum Teufel gejagt.“ In den heftigen Beifall mischen sich plötzlich „Wir sind das Volk“-Rufe. Die Treuhand ist eine „Mafiabande“ und Kanzler Kohl wird auf einem Plakat damit gedroht, ebenfalls nach Chile verjagt zu werden. „Stinksauer“ sind die Kumpel aber auch auf ihre Gewerkschaft, die ihren Arbeitskampf nicht unterstützt. Eine IGBE-Delegation aus der Nähe von Duisburg allerdings bekommt heftigen Beifall für ihr Transparent: „Die Mitglieder stehen hinter euch.“ Noch mehr Beifall gibt es für die Rücktrittsforderung an die Adresse des IGBE- Vorsitzenden Hans Berger, seines Zeichens auch Aufsichtsratmitglied bei der BASF. Den Chemiekonzern machen die Bischofferöder Kumpel verantwortlich für die geplante Schließung des Werks zum Jahresende.

Neben Bärbel Bohley hat auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse hierhergefunden, der seinen Urlaub unterbrochen hat. Kaum tritt er ans Mikrophon, schallt es aus der Menge: „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten.“ Thierse muß zunächst gegen den geballten Unmut der Menge anreden, doch dann wird auch er mit Beifall bedacht, als er die vollständige Offenlegung des Fusionsvertrages und neue Verhandlungen über die Zukunft der Kali-Grube fordert. Ein unabhängiger Gutachter müsse prüfen, ob Bischofferode eine Chance hat. „Und wenn es stimmt, daß bis 1989 zwei Drittel des deutschen Kalis in der DDR produziert wurden, und durch den Fusions-Vertrag dieses Verhältnis zugunsten des Westens umgekehrt wird, ist dies ein verteilungspolitischer Skandal.“ Dies sei kein betriebswirtschaftliches, sondern ein politisches Problem. Und dann verspricht Thierse noch, sich bei seinen Parteikollegen in der Bundestagsfraktion dafür einzusetzen, daß die Entscheidung im Treuhandausschuß des Bundestages revidiert wird. „Ich bin hierher gekommen, um zu zeigen, daß ich und wir Sozialdemokraten begreifen, daß Bischofferrode wirklich überall ist.“

„Man hätte schon früher auf die Straße gehen sollen und nicht alles stillschweigend hinnehmen“, meint Cornelia Baier aus Sondershausen, deren Schwager seit 17 Tagen am Hungerstreik teilnimmt. Mit ihrer Befürchtung, daß das Eichsfeld wieder zum Armenhaus Deutschlands wird, steht sie nicht allein. Die Kali-Grube ist der letzte industrielle Betrieb, der in der Eichsfelder Region noch übrig geblieben ist. „Da bleibt unseren Kindern doch nichts als auszuwandern.“ Dorothee Winden

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