Währungskrise: Spekulation rollt, Minister ratlos

■ Die Finanzminister und Notenbankchefs versuchen, das Europäische Währungssystem EWS vor dem endgültigen Absturz zu retten

Berlin (taz) – Läutete Finanzminister Theo Waigel mit dem Totenglöckchen, als er seine Amtskollegen am heiligen Sonntag nach Brüssel bestellte? Viele jedenfalls glaubten am Wochenende, daß dem Europäischen Währungssystem (EWS) die letzte Stunde geschlagen habe. Weil die Minister und die Notenbankchefs die Türen fest hinter sich verschlossen hatten, war bis zum Redaktionsschluß nicht klar, welche Maßnahmen sie gegen die Turbulenzen auf den europäischen Währungsmärkten beschließen würden. Klar war nur, daß sie bis zur heutigen Börseneröffnung eine Entscheidung treffen mußten, nachdem am Freitag fünf von acht EWS- Währungen derart unter Druck gerieten, daß sie nur durch massive Stützungskäufe innerhalb des ECU-Korbes gehalten werden konnten. Besonders dramatisch war dies vor allem deshalb, weil sowohl der französische als auch der belgische Franc dazugehörten – und die zählen neben der D-Mark zum „harten EWS-Kern“.

Ausgelöst worden war der schwärzeste Freitag des EWS durch die geringe Zinssenkung der Deutschen Bundesbank am letzten Donnerstag. Nachdem am Vortag von dort aus Zeichen einer neuerlichen Zinssenkung ausgesandt worden waren, hatten viele mit mehr als den mageren 0,5 Prozent beim Lombardsatz gerechnet, zumal der entscheidendere Diskont unverändert blieb. Die Spekulanten kauften Milliarden von D-Mark und verkauften Franc, so daß der Kurs der französischen Währung immer weiter absackte. Mit massiven Stützungskäufen versuchten sowohl Bundesbank als auch die französische Nationalbank, den Franc vor dem Absturz zu bewahren.

Die Zentralbanken erhöhten, indem sie für etwa 50 Milliarden Mark Franc aufkauften, künstlich die Nachfrage und damit auch den Kurs der Währung. Mit wenig Erfolg: nach offiziellem Börsenschluß fiel der Franc zeitweilig unter den Kurs, der im Wechselkurssystem als absolutes Minimum festgelegt ist. Auch der belgische Franc, die Dänenkrone, die spanische Peseta und der portugiesische Escudo gerieten so sehr unter Druck, daß sie gestützt werden mußten.

Am Samstag mußte sich dann bereits der EG-Währungsausschuß mit dem Problem beschäftigen, und auch die Finanzminister berieten daheim, wie die Misere zu beheben sei, ohne daß die eigene Volkswirtschaft Schaden nimmt. Eine völlige Neubewertung aller Wechselkurse im EWS ist ein wahrscheinliches Resultat der Brüsseler Verhandlungen, soll das EWS nicht ganz aufgegeben werden. Denn verläßt erst einmal der Franc das System, dann ist die angepeilte Europäische Währungsunion mit einer einzigen Währung, dem ECU, keinen Pfifferling mehr wert.

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