„Jesus, das ist dein Abend, mach, daß er gut wird“

■ Die „Jesus Freaks“ preisen Gott im Stil der siebziger Jahre: „Wir wollen schrill und laut sein“

„Okay, es geht los.“ Martin Dreyer begrüßt die Gäste. „Peter, Nico, hey Larissa.“ Die anderen klatschen. Etwa fünfzig sind an diesem Freitagabend in das Jesus Center im Schanzenviertel gleich neben der „Roten Flora“ gekommen. Dann beginnt die Livemusik: Schlagzeug, Gitarre, Gesang. Im Stil der siebziger Jahre, die selbst komponierten Lieder sind wie Gospels. Rhythmisch, religiös.

Ein Lichtbild wird an die Wand geworfen: Über einem verschlungenen Alpha und Omega stehen die Worte „Jesus Freaks.“ Seit etwa einem Jahr treffen sich Teens und Twens regelmäßig zu ihren „Jesus Abhängabenden“. Das sind Gottesdienste, die auf den ersten Blick nichts mit dem Glauben gemein haben, wie er von den großen Kirchen gelehrt wird. Gott wird nicht in respektvoller Distanz gepriesen, sondern soll ein Freund sein, der sinnlich erlebt werden kann. „Jesus, das ist dein Abend und wenn du Bock darauf hast, dann mach, daß er gut wird“, beschwört Martin Dreyer.

Vorbild ist das amerikanische „Jesus People Movement“. Eine religiöse Bewegung Anfang der 70er Jahre, die ein fundamentalistisches Bibelverständnis mit emotionaler Hingabe an Jesus verbunden hat. Martin Dreyer ist der Pastor der Hippie-Gemeinde. Er hat schulterlange dunkle Haare, trägt ein schwarzes T-Shirt mit den „Jesus Freak“-Symbolen: Neben dem „A und O“ ein Totenkopf, in den sich ein Kreuz bohrt. Der 28jährige hat in seiner Stimme etwas Radikales, Mitreißendes. Als er, wie alle „Jesus Freaks“, in der Alster getauft wurde, bekam er den Bibelspruch mit auf den Weg: „Wenn jemand redet, so rede er Aussprüche Gottes.“

Gemeinsam werden Lieder gesungen. Danach betet jeder für sich. Einige fallen auf die Knie, werfen sich auf den Boden, strecken die Hände hoch. Niemand hat Scheu, laut mit Jesus zu sprechen. Der Raum vibriert von inbrünstigem Gemurmel, aus dem manchmal ein Satz ausbricht und für Sekunden über den allgemeinen Wortschwall fliegt. „Jesus, einige von uns würden echt in der Scheiße sitzen, wenn du uns nicht geholfen hättest.“ Die Zustimmung: „Herr, du bis mein Schmerzmittel.“ Einer schildert seine Vision: „Ich habe an der Wand ein riesiges, gleißendes Dreieck gesehen. Daraus trat Jesus mit Samen und Erde.“ Seine Deutung: „Wir sollen Gottes Wort in dieser Stadt verbreiten.“

Das will auch Martin Dreyer. Er predigt über das Feuer des Heiligen Geistes, wie es über die „Freaks“ kommen wird. „Nichts wäre geiler, als wenn dein Feuer bei uns brennt.“ Wie sie immer mehr werden und das Feuer ganz Hamburg erfaßt, „bis wir bei Veranstaltungen das Volksparkstadion füllen.“ Eine Stimme flüstert: „Das Millerntor.“

„Eine Sekte sind wir nicht“, sagt Martin Dreyer. „Wir fordern nichts. Uns verbindet der gemeinsame Glaube, aber wir engen niemanden ein.“ Bea, 19 Jahre alt, hat drei Kreuze um den Hals hängen: „Vater, Sohn und Heiliger Geist.“ Sie hat rote Haare und hält ständig eine Zigarette in der Hand. Wie sie zu den „Jesus Freaks“ gekommen ist? „Ich war einsam, ich habe versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden“, sagt sie offen. Dann erzählt sie von den vielen Partys, von ihrer Suche nach Wärme und Liebe. „Mein Bedürfnis nach menschlicher Nähe wollte ich mit Sex befriedigen.“ Irgendwann habe sie sich einer christlichen Jugendbewegung angeschlossen. „Eine ganze Woche habe ich wie eine Verrückte gebetet. Dann hatte ich plötzlich den Glauben an Gott.“ Bei den „Freaks“ sei ihr die erste wirkliche Liebe begegnet. Jetzt lernt Bea Floristin.

Martin Dreyer versteht es, die Emotionen der „Jesus Freaks“ immer neu zu schüren: „Wir wollen schrill und laut sein.“ Auf Dauer möchte er eine eigene Kirche. Ein Haus, zu dessen Unterhalt die „Freaks“ mindestens eine Million Mark brauchen, ist schon in Sicht. „Wir haben keinen Pfennig - aber Jesus hilft“, glaubt Martin Dreyer. Und als Anfang würde auch eine Bar auf der Reeperbahn ausreichen. Dort soll bei Livemusik getanzt und getrunken werden. „Sonntags wollen wir dann in unserer Gemeinde Jesus erleben.“ Torsten Schubert