Schlesien: Der Konflikt in den Köpfen

Den deutschen Abgeordneten droht der Boykott ihrer radikalen Basis / Sprachlosigkeit zwischen polnischer Verwaltung und Minderheit / Parlamentswahlen im September  ■ Aus Oppeln Klaus Bachmann

Es herrscht eisiges Schweigen. Die Spannung knistert geradezu im Saal, als Gerard Bartodziej, Senator der deutschen Minderheit, aus der hinteren Reihe nach vorne geht und Ryszard Zembaczynski dem polnischen Woiwoden von Oppeln das weiße Blatt überreicht, von dem er gerade abgelesen hat. Seit Wochen wird dem deutschen Freundschaftskreis in Strzelce Opolskie (Großstrelitz) regelmäßig und des Nachts der Aushängekasten demoliert; dazu gibt es Drohanrufe und eingeschlagene Scheiben. Vom örtlichen Polizeiposten erhielt Senator Bartodziej nun die Mitteilung, daß die Ermittlungen eingestellt wurden – nicht, weil man den Täter nicht finden konnte, sondern „wegen Nichtvorliegens einer Straftat“. Für Bartodziej eine Provokation, für den Woiwoden „Dummheit“.

Bei der Debatte, zu der die „Sozialkulturelle Gesellschaft der deutschstämmigen Bevölkerung“ im von der deutschen Minderheit dominierten Gogolin geladen hat, sitzt der Woiwode auf der Anklagebank: Oppeln liegt hinten, wenn es um Wirtschaftsentwicklung, Privatisierung und ausländische Investitionen geht. Für die deutschen Abgeordneten ist Deutschenfeindlichkeit der Hauptgrund dafür, für den Woiwoder sind es die „objektiven Bedingungen“. Man redet aneinander vorbei, und jeder noch so kleine Konfliktpunkt wird sofort zum Nationalitätenproblem.

Daß es in der Woiwodschaft inzwischen einen deutschen Bauernverband, einen Regionalverband zur Wasserversorgung, einen Bürgermeisterklub und nun auch noch eine Handelskammer gibt, birgt für den Woiwoden die Gefahr, daß sich die Minderheit abkapselt. Für die Gogoliner dagegen ist es die logische Folge davon, „daß die bisherigen (polnischen, d.Red.) Institutionen schlecht arbeiten und uns ausgrenzen“.

Mißtrauen herrscht auf beiden Seiten. Nach der Debatte fahren die deutschen Abgeordneten in ein kleines Dorf bei Kendrzin. Bis vor kurzem gab es in der Dorfschule eine Deutschlehrerin aus den neuen Bundesländern, bezahlt von deutschen und polnischen Behörden. Weil sie sich weigerte, mit den polnischen Behörden zusammenzuarbeiten, wurde sie schließlich abberufen – überall auf der Welt eine gewöhnliche Disziplinarangelegenheit. Nicht so in Schlesien, denn die zuständige Schuldirektorin ist Polin, und so spaltete sich das Dorf in zwei Lager. Vermittelnd eingreifen mußten: der Zentralrat der deutschen Gesellschaften, mehrere Abgeordnete, die Schulbehörden in Oppeln, Warschau und Deutschland. Jetzt ernten die Abgeordneten Beifall mit dem Versprechen, aus Deutschland werde bald Ersatz kommen.

Erfolgserlebnisse können die Wahlkämpfer, die zur Zeit durch die schlesischen Dörfer reisen, gut gebrauchen. Die Säle bleiben halbleer, die Aufbruchstimmung von 1990 ist verschwunden, auch radikale Töne sind seltener geworden. Maximalforderungen waren damals an der Tagesordnung: Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft, Beteiligung an bilateralen Verhandlungen, Heimatrecht für Vertriebene. Nichts davon wurde durchgesetzt, und die Abgeordneten in Warschau mußten lernen, daß sie nur schrittweise, per Kompromiß und Zusammenarbeit mit anderen Parteien, etwas erreichen können. Der radikale Teil ihrer Basis droht ihnen nun zu entgleiten, die Fundamentalisten kommen gar nicht erst zu den Veranstaltungen.

Dort verkündete Heinrich Kroll, Spitzenkandidat für den Sejm und bisheriger Fraktionschef im polnischen Parlament, er habe nicht viel anzubieten, außer, die bisherige Linie fortzusetzen: Kooperation mit der Minderheiten gegenüber der aufgeschlossenen Demokratischen Union und den Liberalen, falls diese wieder in die Regierung kommen. Falls nicht, Opposition.

Gute Chancen, der Minderheit Stimmen abzujagen, hat die Ex- Blockpartei „Polnische Bauernpartei“ (PSL): Wo die deutschen Abgeordneten unerschütterlich zur Regierung hielten, war sie in der Opposition; wo Kroll und seine Mitstreiter Rentenkürzungen zustimmten, focht die PSL für Agrarsubventionen.

Was haben Kroll und Bartodziej zu bieten? Eine mit deutschen Geldern finanzierte Stiftung zur Mittelstandsförderung und zwei Gesetzentwürfe, die wegen der vorzeitigen Auflösung des Parlaments nicht mehr zur Abstimmung gelangten. Auftrieb für die Radikalen, aber die haben unter den elf Sejm- und zwei Senatskandidaten in Oppeln kaum Wortführer. Ersten vorsichtigen Prognosen zufolge haben die Minderheitskandidaten in Oppeln zwar kaum Chancen, ihren bisherigen Bestand von sechs Abgeordneten zu halten, dafür aber könnte ihnen beschieden sein, mit zwei Senatoren die Woiwodschaft allein zu vertreten. Denn die polnischen Stimmen werden sich auf fast ein Dutzend Kandidaten aufteilen. Gewählt ist ein Kandidat dann schon mit etwa acht Prozent.

So werden wohl auch nach den Wahlen im September moderate Abgeordnete eine radikale Basis vertreten. Gerard Bartodziej: „Für die einen sind wir zu hart, für die anderen zu weich. Ich weiß wirklich nicht, ob da für mich überhaupt noch Spielraum ist.“ Ernüchterung ist eingetreten in Schlesien. Jetzt überlegt man sich, mit wem man im künftigen Sejm wird Kompromisse schließen können, wo man Lehrer für die Dorfschule herbekommt und wie man eine neue Wasserleitung finanzieren soll. „Wenn nur nicht wieder jemand von draußen Unruhe schürt“, hofft Danuta Berlinska, die als Minderheitenbeauftragte des Woiwoden das Vertrauen beider Seiten genießt und so oft genug zwischen den Stühlen sitzt. Denn dann bricht er wieder auf, der Konflikt, der jetzt noch in den Köpfen sitzt. Klaus Bachmann