: Die Geschichte der europäischen Sterntaler
■ Seit geraumer Zeit kriselt der EG-Wechselkursverbund
Fünf Jahre lang war das EWS stabil. Im letzten September aber begann es erheblich im Gebälk des Europäischen Währungssystems zu krachen. Die Bundesbank hat die Zinsen immer weiter hochgeschraubt; am 14. September 1992 wurde die Lira um sieben Prozent abgewertet. Kurz darauf rutschten Lira und Pfund soweit ab, daß auch die bis dahin größten Stützungskäufe in der Geschichte des EWS nicht mehr ausreichten: Die beiden Währungen mußten „vorübergehend“ aus dem EWS ausscheiden und sind bis heute nicht mehr dazu gekommen. Außerdem wurde die Pesete um fünf Prozent abgewertet. Die Kurse sollten sich wieder am tatsächlichen Marktwert orientieren. Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, senkte unter anderem die Bundesbank die Zinsen und ernete viel Lob dafür.
Jedoch hat das EWS seitdem nicht wieder zur Stabilität zurückgefunden. Die Wirtschaften der verschiedenen Länder entwickelten sich nicht parallel. Schon im November mußten Peseta und Escudo um je sechs Prozent abgewertet werden und Ende Januar folgte das irische Pfund mit gar zehn Prozent. Zeitweilig entwickelte sich die D-Mark sogar in Richtung einer Weichwährung, während der französische Franc ungewöhnlich stark wurde. Premierminister Balladur schaffte es sogar zehn mal hintereinander, das französische Zinsniveau zu senken, ohne daß der Franc unter Druck geriet. Eine unabhängigere Politik von der deutschen Bundesbank schien möglich. Zunächst jedenfalls. Dann aber wurde den Devisenhändlern und Spekulanten bewußt, daß die französische Wirtschaft mit ihrer enorm hohen Arbeitslosigkeit keineswegs so stark ist, wie der Kurs vermittelte. Die Zinsen mußten wieder angehoben werden, damit genügend Anreiz da war, weiterhin Franc zu kaufen oder zu behalten. Der kurze Frühling der finanzpolitischen Freiheit war zu Ende.
Seit den frühen EWS-Zeiten streiten sich gerade Frankreich und Deutschland um die richtige Währungspolitik. Die einen wollten Preisstabilität als oberstes Gebot, dem sich die Wechselkurse unterordnen müssen, die anderen wollten stets feste Wechselkurse verteidigen, um darüber mittelfristig Haushaltsdisziplin und stabile Preise zu erreichen. Die Bundesrepublik gehört zur ersten Gruppe; Frankreich führt die zweite an. 1972 wurde die sogenannte Währungsschlange eingerichtet. Die Absicht dabei war, die Entwicklung der Währungen untereinander berechenbar zu machen. Dies ist für die Wirtschaft ein wichtiger Faktor für Planung und Investitionen und wirkt somit stabilisierend. Alle EG-Währungen durften gegeneinander nur noch um plus/minus 2,25 Prozent schwanken.
Seit 1979 existiert das EWS, das Europäische Währungssystem, das eine Weiterentwicklung der Schlange darstellt. Neu ist vor allem der ECU, eine Korbwährung, die sich aus den Währungen der Mitgliedstaaten berechnet. Die beteiligten Währungen stehen seither in einem festgelegten Wechselkursverhältnis zum ECU. Daraus werden die bilateralen Kurse der Währungen untereinander abgeleitet. Bis gestern durften sie um 2,25 Prozent (Spanien und Portugal 6 Prozent) nach oben oder nach unten abweichen, jetzt sind es 15 Prozent. Es ergibt sich ein Wechselkursgitter, in dem jede Währung mit jeder anderen und zum ECU einen festen Kurs hat. Erreicht eine Währung gegenüber einer anderen den untersten Punkt der Wechselkursbandbreite, mußten die Zentralbanken beider Länder intervenieren. Genau dieser Punkt ist durch die Entscheidung vom Wochenende extrem weit hinausgeschoben worden.
Wer sich nicht verteidigte, mußte ausssteigen
Im letzten Herbst mußten Lira und Pfund aus dem Wechselverbund heraus. Es kam aber auch zu einer allgemeinen Wechselkursanpassung, das heißt, die bilateralen Kurse wurden neu festgelegt. Seit Bestehen des EWS kam es rund ein Dutzend Mal zu einem solchen „Realignment“.
Gelegentlich reichten Neubestimmungen der Wechselkurse nicht aus; die Währungen wurden durch hohe Zinsen verteidigt. Je höher die Zinsen eines Landes, desto mehr Investoren legten ihr Geld in der betreffenden Währung an und desto höher kletterte der Wechselkurs. Hohe Zinsen sind allerdings für die Wirtschaft abträglich, da sie Investitionen verteuern.
Das EWS war ursprünglich nur für eine Übergangszeit von zwei Jahren eingerichtet worden. Danach sollte es die Währungsunion geben. Da sich die nationalen Volkswirtschaften aber zu wenig aufeinander zubewegten und es immer wieder zu Spekulationen gegen einzelne Währungen kam, wurde dieses Datum immer weiter nach hinten verschoben.
1990 immerhin einigten sich die Regierungen auf die Einrichtung einer europäischen Zentralbank. Ab 1994 sollte die Währungsunion perfekt sein: mit einer gemeinsamen Währung, dem ECU, mit gemeinsamer Zins- und Wechselkurspolitik. Ob es angesichts der derzeitigen Schwankungen aber jemals zu solch einer Einigung kommt, steht mehr denn je in den zwölf Sternen. Nicola Liebert / Annette Jensen
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