Europas Währungssystem wird gerupft

Der Devisenkorridor wurde weit geöffnet. Um 15 Prozent nach oben und unten dürfen die Währungen schwanken, bevor die Notenbanken reagieren müssen. Schlechte Zeiten für Währungsspekulanten, den deutschen Michel freut's.

In den Währungsabteilungen der Wirtschaftsunternehmen knallten gestern die Champagnerkorken. Jeden Franc, den die Geldmakler am Freitag von den französischen Banken ausgeliehen und zum Kurs von 3,43 in Deutsche Mark umgetauscht hatten, konnten sie heute zum Kurs von 3,52 zurücktauschen. Macht knapp drei Prozent Gewinn, und das in weniger als drei Tagen.

Bei Milliardensummen, und um die ging es am vergangenen Wochenende, bleiben unterm Strich schnell ein paar hundert Millionen Mark übrig. Die Rechnung zahlen die Notenbanken, denn sie haben mit ihren D-Mark-Reserven all die überflüssigen Francs aufgekauft, um genau das zu verhindern, was dann doch eingetreten ist: die Abwertung des Franc.

Es war der dritte Angriff der Spekulanten auf die französische Währung innerhalb weniger Wochen. Zweimal haben die Notenbanken entschlossen dagegen gehalten, das dritte Mal hatten die Spekulanten den längeren Atem. Die Notenbanken fürchteten wohl, bei noch größeren Stützungskäufen die Inflation anzuheizen. Genau darauf hatten die Devisenmakler gehofft und alle zusammen kräftig Francs auf den Markt geworfen. Und weil das Spiel so lukrativ ist und auch noch so schön funktioniert, wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die nächste Währung aus dem Europäischen Währungssystem unter Beschuß gekommen wäre.

Die Finanzminister haben deshalb die Notbremse gezogen. Die Schwankungsbreiten der einzelnen Währungen auf 15 Prozent rauf und 15 runter zu erweitern, bedeutet die faktische Beurlaubung des EWS. Sie haben sich auch deshalb beeilt, die Maßnahme mit dem Etikett ,vorübergehend‘ zu versehen, ohne freilich eine Frist zu nennen.

Für die Finanzminister wird es zunehmend schwieriger, die Vision vom großen gemeinsamen Markt mit einer einheitlichen Währung aufrechtzuerhalten. Es gehört zu den irrationalen Seiten des Marktes, daß von der Währungsunion vor allem jene Wirtschaftsunternehmen profitieren würden, die das EWS, die Vorstufe der Währungsunion, zu Fall gebracht haben. Vor allem Großunternehmen wie Siemens, Mercedes und VW verweisen gerne auf die Vorteile ihrer amerikanischen Konkurrenz, die auf einem großen Inlandsmarkt ohne Wechselkursunsicherheiten leben und dadurch mit größerer Gelassenheit auf dem Exportmarkt auftreten können. Die gleichen Vorteile würde der europäische Binnenmarkt mit einheitlicher Währung den europäischen Unternehmen bieten.

Doch während die Vorstände der großen Konzerne gerne über die Chancen von Europa philosophieren, spekulieren ihre Währungsabteilungen mit dem kurzfristigen Vorteil von Wechselkursschwankungen. Ob Großbetriebe oder an ihnen beteiligte Banken: sie alle haben ihren Devisenmaklern die Freiheit gegeben, für ein paar Millionen Mark das EWS auszuhebeln. Für die deutsche Exportwirtschaft bedeutet die Aufwertung der Mark zudem einen erhöhten internationalen Konkurrenzdruck, da die deutschen Produkte im Ausland dadurch teurer werden (siehe Kasten). Der französische Franc ist nicht die einzige Währung, die gegenüber der Mark verloren hat, und auch in den nächsten Tagen werden sich die Wechselkurse noch drastisch verschieben. Die Mark wird wohl noch zulegen. Zur Erinnerung: Nach dem Ausstieg des britischen Pfund aus dem EWS im September letzten Jahres, dauerte es noch Wochen, bis sich der Wechselkurs einpendelte. Zwar beteuern die Finanzminister, daß die aktuellen Währungsrelationen den wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen in Europa entsprächen, aber so genau weiß das keiner.

Nur formale Rettungsaktionen

Die EG-Finanzminister haben mit den Beschlüssen vom Wochenende das EWS zumindest formal gerettet. Diskutiert wurde auch der Ausstieg einzelner Währungen nach dem Vorbild des britischen Pfund. Vor allem der Franc war als Ausstiegskandidat gehandelt worden. Was ihn letztendlich hielt, dürfte der befürchtete Imageverlust der gerade einige Monate amtierenden konservativen Regierung gewesen sein.

Der französische Premierminister Balladur versuchte sogar, den deutschen Finanzminister zu überreden, die Mark vorübergehend aus dem EWS herauszunehmen und damit den Druck auf den Franc zu lindern. Schließlich, so Balladur, sei die Ursache für die starken Spannungen im Währungsgefüge vor allem in der deutschen Zinspolitik zu suchen. Die lediglich kosmetische Zinssenkung der Bundesbank am letzten Donnerstag habe jedoch die Turbulenzen ausgelöst. In der Tat hat die hohe Staatsverschuldung im Zuge der deutschen Vereinigung die Zinsen höher getrieben, als die französiche Wirtschaft verkraften kann. Damit habe die Bundesregierung stärker gegen die europäischen Stabilitätsgrundsätze verstoßen als die französische, meinte Balladur.

Doch ein Europäisches Währungssystem ohne ihre Leitwährung D-Mark hätte den letzen Funken Vertrauen verspielt, die faktische Freigabe der Wechselkurse schien den Finanzministern da das kleinere Übel. Alois Berger