„Intelligente Mangelverwaltung“

■ Sozialarbeit in Wilhelmsburg am Ende der Fahnenstange angekommen   Von Sannah Koch

Für die Mitarbeiter des Amts für Soziale Dienste in Wilhelmsburg ist das Ende der Fahnenstange erreicht: Die ständige Arbeitsüberlastung habe dazu geführt, daß Hilfesuchende monatelang auf Beratungsgespräche warten, Notfälle nicht mehr mit der gebotenen Intensität bearbeitet und Sprechzeiten eingeschränkt werden müssen und im August sogar keine neuen Arbeitsaufträge mehr angenommen werden können. Kurz: Die Abteilung in dem sozialen Brennpunkt südlich der Elbe ist „am Rand der Leistungsfähigkeit“, so teilte jetzt der Initiativkreis Wilhelmsburg (Zusammenschluß sozialer Einrichtungen des Viertels) in einem offenen Brief mit.

Daß das alte Arbeiterquartier mit etlichen Problemen zu kämpfen hat, hatte jüngst auch die Sozialbehörde zur Kenntnis genommen. Wilhelmsburg wurde in dem behördlichen Armutsbericht als ein exemplarischer Armutsbrennpunkt aufgeführt: Ein Ausländeranteil von 26 Prozent, Ballung von Sozialwohnungen, ein Anteil von Sozialhilfeempfängern bei 10 Prozent (unter den Kindern sogar bis zu 25 Prozent) – dazu noch zunehmender Drogenkonsum unter den Jugendlichen, um sich greifender Fremdenhaß und gewalttätige Konflikte in Familien.

Insgesamt eine schwierige Mixtur, die die MitarbeiterInnen des Amts für Soziale Dienste täglich zu spüren bekommen. Sie kennen sie jedoch nicht erst, seitdem die SPD die Problematik der sozialen Brennpunkte für sich erkannt hat. Schon vor zweieinhalb Jahren, so Initiativkreis-Sprecher Detlef Schrader (Bürgerinitiative ausländischer Arbeitnehmer), hätten die MitarbeiterInnen ihre Vorgesetzten auf die bedrohliche Lage hingewiesen. „Dort wurden ständig Überlastungsanzeigen geschrieben“. Doch ohne Erfolg: Denn anders als in anderen Dienststellen gilt für die Sozialen Dienste kein Personalbemessungssystem. In anderen Abteilungen bemißt sich der Personalstamm an der Zahl der zu bearbeitenden Fälle.

„Dieses System einzuführen, wurde hier versäumt“, räumt der Wilhelmsburger Sozialdezernent Holger Stuhlmann ein. In der Tat herrschen dadurch in der Abteilung „keine optimalen Zustände“. Da in den kommenden Jahren nicht mit Personalzuwächsen zu rechnen sei, so Stuhlmanns Einschätzung, müsse jetzt eine „intelligente Mangelverwaltung entwickelt“ werden.

Doch schon jetzt müssen die MitarbeiterInnen Prioritäten setzen. Notfälle, wie Verwahrlosung, sexueller Mißbrauch oder Gewalt in der Familie, werden weiterhin zügig bearbeitet. Doch Hilfegesuche, die als „weniger dringlich“ eingestuft werden – bei Erziehungs- oder Familienberatung, Stellungsnahmen bei der Adoptionsvermittlung – bleiben manchmal monatelang liegen. In dieser Zeit, so muß der Sozialdezernent einräumen, können auch diese Probleme durchaus akut werden.

Unter einer besonders hohen Arbeitsbelastung stöhnt auch das Wilhelmsburger Sachgebiet Kindertagesheime: Dort muß eine Warteliste von über 1000 Kindern bearbeitet werden. Weil die Arbeit nicht bewältigt werden kann, führte man jetzt eingeschränkte Sprechzeiten ein. Sozialdezernent Stuhlmann erhofft sich Hilfe vom Kollegen Computer: „Wenn wir schon kein neues Personal bekommen, dann wollen wir wenigstens eine neue Technik.“ Die soll die Arbeitsabläufe derart vereinfachen, daß sich die MitarbeiterInnen wieder auf das Wesentliche konzentrieren können. Doch auch hier mahlen die Mühlen langsam: Denn obwohl die Bedarfe schon vor einem halben Jahr angemeldet wurden, ist mit einer Entscheidung kaum vor Jahresende zu rechnen. Und auch dann ist fraglich, ob alle Dienststellen mit Computern ausgerüstet werden.

Vermutlich werden die neuen Technikkollegen dann erstmal vollends damit ausgelastet sein, den Berg von Überlastungsanzeigen abzuarbeiten: Der wird bis dahin vermutlich beträchtlich gewachsen sein.