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■ Der Osten vernichtet, was er willDas Lob der Nische

Die vielbeschworene Angleichung der Lebensverhältnisse wird, soviel steht mittlerweile fest, nie jenen Grad an Gerechtigkeit hervorbringen, der erforderlich wäre, um den Ostberliner Zeitgenossen einen Hauch jenes Lebensgefühls zu vermitteln, das über Jahrzehnte das eingeschlossene Westberlin durchwebte. Indem sie, ständig nach Besserversorgung greinend, ihren Brüdern und Schwestern im Westen auf der Tasche liegen, ihnen solchermaßen geradezu die Lebensgrundlage abbaggern, vernichten sie Tag um Tag all die leuchtenden Blüten, wegen derer doch auch ihnen der Westberliner Sumpf so erstrebenswert erschien.

Einer dieser Errungenschaften, die noch tief im Kalten Kriege wurzelte und von der der normal Sterbliche nie etwas erfahren würde, würde sie nicht abgeschafft, hat der Senat gestern den Garaus bereitet: die sinnigerweise „Freigang“ genannte halbe Stunde, die einen jedem öffentlich Bediensteten ermöglichen soll, einmal monatlich seinen Bankgeschäften nachzugehen. Der tiefere Sinn dieser „ausreichenden Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung zum Abheben der Bezüge bei dem Geldinstitut“ wurde schon frühzeitig von den Beschäftigten der Eigenbetriebe erkannt. Sie gaben bereits vor Jahren einen unumstößlichen Beleg ihres feinsinnigen Gespürs für alle Formen sinnvoller Rationalisierung, als sie, nicht kleckernd, sondern klotzend, die Halbstunden zu zwei ordentlichen „Banktagen“ summierten. Diese wurden weniger für einen Intensivkurs in Geldanlage oder -wäsche genutzt, sondern vielmehr stilvoll um den Jahresurlaub drappiert.

Denn für die Bankgeschäfte, sofern erforderlich, ließen sich ja, gleichfalls bezahlt, jene religiösen Feiertage nutzen, die zu begehen nicht gesetzlich vorgeschrieben war. An Peter und Paul, Reformationstag oder Fronleichnam der Arbeit fernzubleiben war vielen gläubigen, aber auch ungläubigen öffentlich Bediensteten in den letzten Jahren Anlaß, über die Vorzüge von Religionen zumindest nachzudenken. Auch diese Regelung, die, das muß nebenbei gesagt werden, den Katholiken immer einen unverdienten Vorteil von vier freien Tagen verschaffte, gehört demnächst der Vergangenheit an. Da ist es nur konsequent, wenn der Senat all den betriebseigenen lieblichen Ferienheimen die öffentliche Unterstützung entzieht, in denen die Beschäftigten von BVG und BSR ihre religiösen Feiertage immer so andächtig verbrachten. Er macht damit nicht nur die jahrelangen Bemühungen so mancher sich um die Freizeit verdient machenden Betriebsräte zunichte, er gibt damit letztendlich das einzige Feld preis, auf dem der Westen dem Osten schlicht unterlegen war – die Datschenkultur. Mit all diesen einschneidenden Maßnahmen wird den Ostberlinern – die Tragik will es, daß gerade sie es befördern – einmal mehr die Möglichkeit genommen, auch dort mit den Westberlinern zusammenzuwachsen, wo sie ihnen doch am nächsten sind – in ihren Nischen. Dieter Rulff

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