Vermeidet Südafrika die Blutspur Angolas?

■ Südafrikas hilflose Politiker wollen endlich eine überparteiliche „Friedenspolizei“

Kathlehong (taz) – Die Hose ist mit vertrocknetem Blut verschmiert. Ein Freund tupft dem 27jährigen Juvenile mit einem Wattebausch die vielen genähten Stichwunden auf dem nackten Oberköper ab. „Gestern nachmittag haben sie mich mit Messern überfallen“, erzählt Juvenile. „Es waren viele.“ Josef Gele hört im Hof des Natalspruit-Krankenhauses von Kathlehong zu. Seine Frau versucht in einer Ecke, die zwei hungrigen Kinder zu beruhigen. „Es gibt keine Sicherheit“, sagt er. Am Sonntag floh Gele mit seiner Familie aus dem Haus in Shortwala, einem Teil der Township Kathlehong im Osten von Johannesburg. „Alles ist uns gestohlen worden, in unseren vier Zimmern wohnen jetzt die Angreifer.“

Geles Blick ist ratlos. Ein paar leere Gemüsekästen aus Plastik, ein paar Decken und die Kleider, die sie am Leibe trugen – mehr blieb nicht. 102 Kinder, 91 Frauen und 67 Männer haben die Nacht im als sicher geltenden Krankenhaus verbracht. Wohin Gele nun geht? „Ich weiß es nicht, zurück kann ich nicht. Zuhause gibt es keine Sicherheit“, wiederholt er.

Die Leute, die jetzt in seinem Haus wohnen, seien aus der Umgebung des Thokoza-„Hostels“ gekommen. Das Männerwohnheim ist berüchtigt: Etwa 6.000 Männer, vorwiegend der konservativen Schwarzenbewegung Inkatha angeschlossene Zulus, leben in der heruntergekommenen Kaserne, 2.000 von ihnen sind arbeitslos. „Hier in Kathlehong genügen zwei Kugeln, um einen Krieg zu entfachen“, sagt der Nthuthuku Shezi, „eine, die auf das Wohnheim abgefeuert wird, eine, die zurückgeschossen wird.“ Als die Bewohner in Shortlala flüchteten, weil die Polizei ihre Wohnungen durchsuchte, folgten den Beamten die Leute aus der Umgebung des Wohnheims, plünderten und besetzten die Wohnungen.

„Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Polizei so etwas tun würde“, erklärt Polizeisprecherin Janine Smith. Aber 95 Menschen starben am Wochenende in den Townships im Osten Johannesburgs. 33 Menschen kamen in der Nacht zum Sonntag alleine in Tembisa ums Leben. Die Polizei erklärte, sie sei erst im Morgengrauen ausgerückt, um die Leichen einzusammeln. Vier Stunden hatten rund 200 Wohnheimbewohner Zeit, nach Lust und Laune eine Spur des Todes und der Verwüstung zu legen.

Schlimmste Gewalt seit Beginn der Reformen

Laut Polizeistatistiken wurden seit dem 3. Juli 44 Menschen in Tembisa, 45 in Daveyton, 170 in Thokoza und 394 im benachbarten Kathlehong ermordet. Die Jugendliga dieser „Township des Todes“ verlangt mittlerweile den Abzug der Polizei. Längst liefern sich Gruppen von sogenannten „Selbstverteidigungseinheiten“ des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Feuergefechte mit Wohnheimbewohnern. „Wir brauchen eine neutrale Kraft“, lautet die einzige Lösung, die sich der 30jährige Andile Luvuno von der Kirchengemeinde „Versammlung Gottes“ vorstellen kann, „denn die Polizei ist Teil dieser Gewalt.“

Auch ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa verlangte angesichts der neuen Gewalt die Etablierung einer „Friedensbrigade“ in Südafrika. Erstmals erklärte sich Polizeiminister Hernus Kriel am Montagabend bereit, diese neue südafrikanische Polizei zu etablieren. Der Plan orientiert sich an dem Vorbild, das die Vereinten Nationen im mittelamerikanischen El Salvador entwickelten: Die Streitkräfte bleiben vorerst in der alten Form bestehen; die neue Polizei soll aus Leuten der bewaffneten Befreiungsarmeen, aus Polizisten der Homelands und aus zuverlässigen Beamten der bisherigen Polizei zusammengestellt werden. Mit ihrer Zustimmung gibt die weiße Minderheitsregierung indirekt zu, daß die Polizei bei der augenblicklichen Gewaltwelle – der schlimmsten seit den Reformankündigungen durch Präsident Frederik W. De Klerk im Februar 1990 – ihre Finger mit im Spiel hat.

Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu geht noch weiter. Er verlangte die Einschaltung einer internationalen Friedenstruppe: „Die Südafrikaner haben bewiesen, daß sie selber nicht in der Lage sind, die Gewalt zu kontrollieren.“ Aber selbst der ANC lehnt das ab. Zu seiner Skepsis trägt die Erfahrung der drei scheiternden UN- Missionen in Angola, Mosambik und Somalia bei. Ob aber eine südafrikanische „Friedenspolizei“ es schafft, dem Blutvergießen ein Ende zu bereiten? Die Schaffung der neuen Polizei wird Monate in Anspruch nehmen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigt zudem, daß Südafrikas Sicherheitskräfte selbst jeder teilweisen Entmachtung mit Widerstand begegnen.

Die Eskalation der Gewalt nützt vor allem jenen politischen Kräften, die vor den am 27. April geplanten ersten demokratischen Wahlen in Südafrika das politische Klima weiter destabilisieren wollen. ANC-Präsident Nelson Mandela erklärte denn auch: „Wir werden uns von dem Ziel der Demokratie auch durch Gewalt nicht abhalten lassen.“ Aber eine Frau in Kathlehong, die aus Furcht ihren Namen nicht nennen will, sagt: „Wie sollen wir zu den Urnen gehen, wenn wir uns nicht einmal vor unsere Haustür wagen können.“