■ Cash & Crash
: Finanzweisheit

Berlin (taz) – Die Wirtschaftswissenschaft ist eine exakte Wissenschaft, das merkt man daran, daß nach einem EWSKO (Europäischer Währungssystem-Knock-Out) jeder Wirtschaftsexperte sofort weiß, warum alles so gekommen ist. Leider kommt diese Wissenschaft nur bei rückwirkender Betrachtung richtig zu Geltung. Beim Blick nach vorn tauchen oft Unwägbarkeiten auf, die der exakte Wirtschaftsexperte nicht vorausahnen kann.

Um ein praktisches Beispiel zu nennen: Am Aktienmarkt rechneten gestern manche Broker nach der Beurlaubung des EWS mit einem Anstieg der Aktienkurse, andere glaubten das nicht. Das höfliche Handelsblatt umschrieb die Ratlosigkeit mit der Formel: „Am Aktienmarkt scheint der Meinungsbildungsprozeß über die Auswirkungen der EWS-Beschlüsse nicht abgeschlossen.“ Daraufhin stieg der Deutsche Aktien- Index (DAX) um 12 Punkte. Weiß der Himmel, warum.

Uneinheitlich präsentierte sich auch der Meinungsmarkt. Bundesaußenminister Kinkel blieb fest auf dem Stand des letzten Börsenschlusses und bewertete die Freigabe der Wechselkurse als Signal der EG, an der Währungsunion festzuhalten. Dagegen notierte Ingrid Matthäus-Maier (SPD) das Gegenteil: Die Schuldenpolitik der Bundesregierung bremse die europäische Integration. Der Finanzminister zeigte sich beim morgendlichen Fixing durch die Presse leichter und erreichte gerade noch sein Eigengewicht.

Die Zinsen eröffneten nervös und hatten allen Grund dazu. Sogar Rudolf Hickel – die dpa beschreibt ihn als alternativen Bremer Wirtschaftsweisen – verlangt vom Zins, daß er nun nachgeben müsse. Die Bundesbank ist da anderer Meinung, welcher, weiß man aber nicht. Sie hat gestern einen Mengentender aufgelegt, und jetzt rätselt der gesamte Geldhandel, was die Bundesbank damit sagen will. Was ein Mengentender ist, interessiert hier nicht. In jedem Fall hat er einen Zins und der ist nach Ansicht der Geldprofis nicht Fisch, nicht Fleisch, so daß niemand erraten kann, wohin die Bundesbank tendiert.

Die BB selbst zierte sich gestern noch bis weit über den Redaktionsschluß hinaus, ihr Zinssignal zu interpretieren. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn sie den Diskontsatz neu festlegen würde. Aber das macht sie nur, wenn sie Sitzung hat, und jetzt ist Urlaub. Da aber Zinsvorhersagen sehr nützlich sein können, lauern alle, ob die Bundesbank mit dem Lombard wedelt oder sich einen Zinstender aufsetzt.

A propos Zinstender: Die Kreditwirtschaft, schreibt die dpa, warte mit Spannung, in welcher Höhe die Bundesbank die zweite Tranche des neuen Wertpapierpensionsgeschäftes zuteile.

Beim letzten Mal habe sie den Satz unter sieben Prozent gedrückt. Seit drei Tagen wissen die Wirtschaftsexperten, daß sich so was eventuell ungünstig auf europäische Währungssysteme auswirkt. Alois Berger