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Früher klagten die Städte – seit den Bonner Sparbeschlüssen sind sie froh, wenn sie überhaupt Geld haben. Gehen die Kommunen demnächst am Bettelstab? Der grüne Stadtkämmerer Tom Koenigs will keine Panik machen. Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Beim Sparen hört der Spaß für alle auf ...

Wenn der Bund seinen eingeschlagenen Kurs der Abwälzung von Lasten auf Länder und Kommunen nicht ändert, werden in ein bis zwei Jahren in den Landkreisen und Gemeinden die schlimmsten Haushaltsjahre der Nachkriegszeit ausbrechen.“ Gerhard Böckel (SPD) rechnete in seiner Eigenschaft als Präsident des Hessischen Landkreistages vergangene Woche mit der Bundesregierung im allgemeinen und mit Finanzminister Theo Waigel (CSU) im besonderen ab.

Durch die Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit“, befürchtet Böckel Einnahmeverluste für die 21 hessischen Landkreise in Höhe von 72 Millionen Mark. Hinzu addiert werden Einbußen durch die Neuordnung des Bund- Länder-Finanzausgleichs von schätzungsweise 671 Millionen Mark. Und die rezessions- und konjunkturbedingten Einnahmeausfälle für die Kommunen, so Böckel, ließen sich in ihrem ganzen Ausmaß noch gar nicht quantifizieren. Die „Katastrophe“ jedoch sieht Boeckel heraufziehen, „wenn das jetzt vom Bund beschlossene Sparpaket auf die kommunale Ebene durchschlägt“.

Nicht nur der Präsident des Hessischen Landkreistages blickt düster in die Zukunft. Deprimiert ist auch der Gießener Landrat Veit. Für die kommenden Jahre befürchtet er „Folgelasten durch die Steigerung der Kosten im Altenhilfebereich, durch Arbeitsförderungskürzungen und eventuelle Mehrbelastungen für die Kinder- und Jugendhilfe in Höhe von 40 Millionen Mark“.

In den Rathäusern breitet sich langsam Panik aus. Köln will sich gar von den stadteigenen Klohäuschen trennen. Andere Städte setzen voll auf Privatisierung. Bremen gibt Teile der Stadtwerke ab, Berlin und Oberhausen schließen hochsubventionierte Theater. In Frankfurt machen die Hallenbäder dicht.

Wie können die Kommunen der Schuldenfalle entkommen? Hoffnungsträger der Grünen im Römer ist Tom Koenigs (49). Der erste grüne Finanzdezernent (Kämmerer) will – ganz unorthodox – versuchen, aus der (Finanz-)Not der Stadt eine Tugend zu machen: „Die mageren Jahre für die Modernisierung nutzen“, lautete in der vergangenen Woche sein Credo. Die Sparpolitik müsse als „Sicherung und Gestaltung der Zukunft“ verstanden werden. Koenigs will Schluß machen mit dem „Jammern“ über die schwierige Finanzlage.

Weil „ideologische Kreuzzüge“ bei der Haushaltssanierung nichts zu suchen hätten, will der grüne Bankierssohn „externen Sachverstand“ für die Sanierung und Umstrukturierung von kommunalen Ämtern herbeiziehen und auch die Banker in die Pflicht nehmen: „In Frankfurt ist mehr Finanzsachverstand versammelt als irgendwo sonst in der Republik. Wir werden uns bemühen, dieses intellektuelle Kapital für die Haushaltssanierung der Stadt zu nutzen. Es wird sich zeigen, daß die Bewältigung der Finanzkrise auch ein Anliegen der hiesigen Banking- Community ist.“

Man ist sich einig

Koenigs vollmundigen Worte finden selbst in der CDU-Fraktion Zustimmung. Die Stadtverordnetenversammlung stimmte dem Konsolidierungskonzept des rot- grünen Magistrats zu. Frankfurt/ Main ist mit mehr als acht Milliarden Mark in der Kreide die am höchsten verschuldete Stadt der Republik. Und im laufenden Haushaltsjahr zeichnet sich ein Defizit von rund 700 Millionen Mark ab. „Kurz vor dem Finanzkollaps“ stehe die Kommune, orakelte die CDU. Und für Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (SPD) ist der Begriff „Sparen“ noch eine harmlose Umschreibung dessen, was demnächst auf die Stadt zukommen werde. Schuld an der Misere ist allerdings nicht nur die Bonner Haushaltspolitik.

In Frankfurt/Main sinkt das Gewerbesteueraufkommen – die Haupteinnahmequelle– kontinuierlich. Hinzu komme, so Koenigs, daß die Stadt in den fetten Jahren „zuwenig an die Zukunft gedacht hat“. Zudem mußte – in Konkurrenz zu Mailand und Paris – alles höher gebaut werden und schneller gehen als in anderen Kommunen. Das Teuerste war den Frankfurter Oberbürgermeistern Wallmann (CDU, Brück (CDU) und Hauff (SPD) gerade gut genug für Frankfurt/Main. In zwölf Jahren CDU-Stadtregierung wuchs der Schuldenberg um drei Millarden Mark. In den letzten vier Jahren unter rot-grüner Ägide noch einmal um drei Milliarden Mark. Daß SPD und Grüne mit den neuen Kreditaufnahmen den Wohnungsbau in der Stadt vorangetrieben haben, ist für Tom Koenigs heute die Hauptursache für die Schuldenexplosion unter der sozial-ökologischen Stadtregierung.

Ketzer sehen das anders: Der Spiegel schrieb süffisant, sämtliche „Latzhosenträger“ aus den Szenevierteln Nordend und Bornheim würden seit 1989 ihr Ein- und Auskommen aus dem Stadtsäckel beziehen. Tatsächlich wuchs der „Wasserkopf Stadtverwaltung“ (Lutz Sikorski/Grüne) nach dem Amtsantritt der Roten und Grünen um 1.600 MitarbeiterInnen auf über 25.000 Planstellen.

Und deshalb hat der noch zu wählende neue Umweltdezernent Lutz Sikorski für seinen Bereich – u.a. die Stadtwerke – eine rigorose Abspeckkur angekündigt – sehr zum Mißfallen der SPD, die um die Stimmen ihrer proletarischen Klientel an den Lenkrädern von Bussen und Bahnen und in den Gas- und Wasserwerken fürchtet.

Sikorskis Wahl zum hauptamtlichen Dezernenten nach der Sommerpause wird denn auch die Nagelprobe für den Sparwillen der Koalition sein: Scheitert der Grüne an fehlenden Stimmen aus dem Lager der SPD, ist die rot-grüne Koalition für die Grünen „gestorben“. Und dann wird die Kommune, wie von Tom Koenigs vor seiner Ernennung zum Kämmerer prophezeit, tatsächlich „mit Volldampf an die Wand rasen“.

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