Die das Auflegen vergaß

■ Gut aufgelegt — Discjockeys in Bremen (3): Silvi Schmidt, Disc-Amazone

Seit 15 Jahren schmeißt Silvi Schmidt Feten. Besser gesagt: Sie legt auf. Wer gestern noch DJ war, legt heute nämlich auf. Aber die neue deutsche Wörter-Welle hat nur das alte Wort vom Disk-Jockey weggeschwappt, der Job ist geblieben. Und für Silvi Schmidt vor jeder Tanznacht ein Gefühl, von dem sie vorsichtig sagt: „Ich glaube, das ist Lampenfieber.“

Streß und Lampenfieber gehören zu ihrer Arbeit als DJ genauso wie der „Zeitraffer“, mit dem sie zuhause, wenn alles vorbei ist, die Nacht in Gedanken noch einmal durchgeht. Und zwar am besten alleine: „Dann kann ich niemand ertragen.“ Die Anspannung muß erst weg, und die Erschöpfung, die schon Stunden vor Fetenschluß in die Knochen kriecht.

Für Silvi Schmidt sind Abende, an denen sie auflegt, „der absolute Streß“, dabei tut sie das schon fast ihr halbes Leben lang. Mit den Vorbereitungen für die lesbisch- schwule Tanznacht samstags im Schlachthof beginnt sie zum Beispiel schon am Mittwoch. Hört im Radio, was in den Charts läuft, gibt zuviel Geld in Plattenläden aus, checkt die Geräte vor Ort und probiert die Musik zuhause: „Manchmal drehe ich nachts die Kopfhörer laut und tanze.“

Wenn sie für andere OrganisatorInnen aufspielt, in Bürgerhäusern, Jugendzentren oder in der Unimensa, je nachdem wo die Pink Party, der Frauenbuchladen, die Frauenwoche oder Belladonna feiern, ist gute Vorbereitung schon der halbe Erfolg. „Mein Stil ist, mich auf die Leute einzustellen.“ Trotzdem legt sie nicht jeden Titel auf. Was sie zum Beispiel sexistisch findet, läuft bei ihr nicht. Praktisch, daß sie die Musik von Guns 'n Roses sowieso nicht mag. Mit Donna Summer liegt die Sache schon anders. Auf deren Disko-Pop läßt sich gut tanzen - aber seit die Musikerin von „AIDS als Gottesstrafe“ gesprochen haben soll, hat Silvi Schmidt der „Queen der us-amerikanischen Schwulen-Clubs“ den Laufpaß gegeben. Da erfüllt sie lieber den Hildegard-Knef-Musikwunsch einer Tanzenden. Nicht wegen der Knef, sondern wegen des Wunsches: „Ich bin ja nicht mein einziges Musik-Kriterium, und manchmal machen die Leute was aus der Musik, da wundere ich mich.“

Trotzdem: Ein bißchen muß der Wunsch zur Stimmung passen. Denn die ist für eine DJ das heikelste Barometer. Silvi Schmidt spricht vom „bangen Daraufhinarbeiten, bis die Leute sich in Bewegung setzen“ - und von der Sorge, die Menge dann in Bewegung zu halten — „bis ich weiß, jetzt hab'ich sie. Und den Moment gibt es immer.“ Spätestens, wenn sie selbst hinter den Geräten tanzt, „eine CD im Mund, eine Kassette in jeder Hand und fünf Titel im Kopf“, ist der Abend auch in ihren Augen ein Erfolg.

Davon erlebte sie eine ganze Reihe, jahrelang ließ sie im Frauenkulturhaus die Wände zittern. Aber DJs Traum erfüllte sich in der HFT-Mensa, als sie mit einer Freundin auflegte. So beseelt waren die beiden von der eigenen Musik und der Stimmung, die sie erzeugt hatten, daß sie vergaßen, neue Musik aufzulegen. Das Publikum dankte in die Stille hinein mit einem rauschenden Applaus - eine Sternstunde von Silvi Schmidt. ede