Animierte Schleimknubbel

Das „Fantasy Filmfest“ geht mit Serienmördern, Untoten und Anti-Spielbergs etwas lädiert ins siebte Jahr  ■ Von Thomas Winkler

Die „Best of“-Compilation eines Genres richtet sich an alte Fans und soll zugleich neue erschließen. In der Popgeschichte markieren solche Compilations End- oder doch zumindest Wendepunkte, und so erging es auch dem klassischen Horrorfilm. 1984 wurde „Terror im Parkett“ gezeigt, der eine genretypische Szene an die nächste reihte. Damals wurde klar: Irgendwas fehlt im Land von Angst und Schrecken, der next big thrill, der dem Genre wieder Leben eingehaucht hätte. Der Splatter-Film, das krude Stiefkind des guten alten Horrors, hatte in den 80er Jahren High-Tech-Gemetzel gezeigt, die nichts mehr zu wünschen übrigließen – bis nur noch die Zensur und der gesunde Ekel des Zuschauers das Genre am Leben erhielten.

Das gesamte Fantasy-Kino, also der phantastische Film von King Kong über Science fiction bis eben zum Horror, erfreut nur noch die letztverbliebenen Liebhaber des Trash. Das Dracula-Revival verlief – Coppola sei Dank – im Sand, und das Publikum verlustiert sich derweil unter Wasser, weil es bei den Fischen so viel positiver zugeht.

Auch das bundesweite „Fantasy Filmfest“ kämpft im siebten Jahr seines Bestehens mit diesen Nöten. Die Splatter-Komödie „Braindead“, neben „Reservoir Dogs“ der letztjährige Festival-Höhepunkt, stände dieses Jahr einsam in luftiger Höhe und fand doch erst kürzlich einen Verleih, um nächste Woche – natürlich geschnitten – den Weg in die deutschen Kinos zu finden. Nach solchen Überraschungen sucht man im diesjährigen Programm vergebens. Die Altmeister enttäuschen, und das Jungvolk zeigt sich arg respektvoll.

Ausnahme ist hier ausgerechnet Dario Argento, der Meister des italienischen Horrors. „Trauma“ heißt sein elfter Film, ein regelrechter „Liebesfilm“. Seinen amerikanischen Geldgebern zuliebe mußte Argento auf gewisse Derbheiten verzichten. Dank siebenmaligen Umschreibens des Drehbuchs hakt so manche Überleitung, aber „Trauma“ ist doch einer von Argentos besten Filmen, mit der eigenen Tochter in der Hauptrolle. Die Handlung wird von einem Serienkiller auf Touren gehalten.

Etwas verspätet, nämlich fast drei Jahre nach dem überdimensionalen Erfolg von „Schweigen der Lämmer“, ist der Serial killer nun endgültig vom Mainstream eingeholt. Das „Fantasy Filmfest“ zollt diesem Umstand Tribut. Neben „Trauma“ laufen mit „Where Sleeping Dogs Lie“ und „California“ noch zwei weitere Versuche zum Thema, denen nicht nur ein Plot gemeinsam ist, sondern auch die Tatsache, daß man ihnen die verwendeten Millionen deutlich ansieht. In beiden Fällen werden Bücher über Serienmörder verfaßt, beide Male mischt sich das Objekt der schreibenden Begierde selbst in das Leben der Autoren, die Homunkuli suchen ihre Schöpfer heim. Dabei schränkt sich „Where Sleeping Dogs Lie“ von Charles Finch, der lange Jahre als Theaterautor und -regisseur arbeitete, auf ein Kammerspiel zwischen Schreiber und Killer ein, mit einigen bedrückend schönen Momenten. In einer Nebenrolle als Agentin des Autors ist Sharon Stone zu bewundern, aus der Zeit vor „Basic Instinct“ allerdings.

Versuch zwei heißt „California“ und ist eigentlich ein Road-Movie. Ein sehr schönes, aber auch ein sehr gelacktes.

Als hilfreicher Kontrast findet sich „Driller Killer“ im Programm, das Filmdebüt von Abel Ferrara, der kürzlich mit seinem „Bad Lieutenant“ Furore machte. Die Mär vom neorealistischen Hippie- Maler, der den Pinsel mit der Bohrmaschine und die Leinwand mit Menschenfleisch vertauscht, steht monolithisch als ein erster Anfangspunkt des Serial killer- Porträts im Film. Und auch wenn „Driller Killer“ nach 14 Jahren reichlich gelitten hat, führt er doch hübsch vor Augen, in welchem Dreck die gelackte Massenware von heute ihren Anfang genommen hat.

„Body Snatchers“, Ferraras letzter Film, ist nun schon die dritte Adaption des Romans von Jack Finney. Während die 77er Version von Philip Kaufman relativ getreu Don Siegels Klassiker von 1956 nachstellte, verlegt Ferrara die namenlose Bedrohung, die Menschen tötet, um sie durch gefühllose Kopien zu ersetzen, in ein jetztzeitiges Militärlager. Was in der ersten halben Stunde, die eindrucksvoll eine ununterbrochene Beklemmung vermittelt, noch als Kritik am militärischen Komplex durchgeht, mutiert in Blitzgeschwindigkeit in eine Materialschlacht, als wäre Ferrara noch vom Kuwait-Feldzug benommen. Der Versuch, Ferrara nach dem Erfolg von „Bad Lieutenant“ als Star des Festivals zu etablieren, scheitert leider an dieser miesen Auftragsarbeit.

Obskur mutet die Programmauswahl aber vor allem beim asiatischen Kino an. Anstatt einen der ultraharten Filme des momentanen Hongkong-Kinos zu featuren, kommt mit „Ah Ying – The Ming Ghost“ eine überaus poetische Adaption von Kurosawas „Rashomon“. Das einzig Fantastische am „Ming Ghost“ ist eine kurze Geisterbeschwörung, deren Geister noch nicht mal ein Laken überm Kopf haben. Trotzdem ein schöner Film, auch wenn einem die dort präsentierte Mentalität einmal mehr so fremd bleibt, daß man nicht weiß, ob man lachen darf, wenn man lachen möchte.

Zu lachen gibt's eindeutig was bei Roger Corman, wie immer. Diane Ladd („Mama Lynch“) kreuzt in „Carnosaur“ Hühnergene mit einem Dinosaurierei, und die B-Picture-Antwort auf Spielbergs „Jurassic Park“ kann lostrampeln. Die Billigversion zum wahrscheinlich kommenden Trend, und wer Corman noch vertraut, müßte es lieben. Wo wir schon bei billig sind: Patsy Kensit, das Piepsstimmchen, bekam schon wieder eine Hauptrolle. Auch „The Turn of the Srew“ von Rusty Lemorande ist bereits das zweite Remake eines Horrorklassikers (na, wenn das man kein Trend ist). Diesmal muß Jack Claytons „The Innocents“, nach der Novelle „The Turn of the Screw“ von Henry James dran glauben. Auch hier stimmt nicht mehr viel, wenn auch – der Zeit angemessen – ein größeres Gewicht auf die sexuelle Verwirrung der jungen Gouvernante gelegt wird.

Nun zum lustigen Teil des Abends. Da waren die Ideen oft besser als die Ausführung. „The Pickle“ zum Beispiel: Ein gealterter Autorenfilmer muß aus Geldmangel eine Teenie-Klamotte drehen, in der ein Raumschiff in Form einer Gurke auf der Erde landet. Klingt gut, wird aber leider nur ein wenig komisches Laberstückchen, in dem der Protagonist ausführlich seine Vergangenheit aufarbeitet. Zwar auch nur Hollywood-Ware, aber immerhin zum herzhaften Gackern geeignet, ist „12:01“. Die im Moment so beliebte Zeitschleife („Und täglich grüßt das Murmeltier“) ist das Thema, Thriller die Methode, und die recht unbekannten Darsteller sind allemal komischer als Bill Murray und Andie MacDowell.

Wer denn zum Schluß kommt, daß der Gestank des Genres absolut nicht mehr auszuhalten ist, kann in einem Programm erstmals unzensierte Fassungen von Cartoons solch bekannter Zeichner wie Tex Avery oder Chuck Jones sehen. Oder bei den beiden Retros von güldeneren Zeiten träumen. Zum einen gibt es einige der besten B-Pictures aus den 50ern, zum Beispiel „The Blob“ (mit Steve McQueen in seiner ersten Hauptrolle und einem animierten Schleimknubbel aus dem All) und „Plan 9 from Outer Space“, schon mal zum schlechtesten Film aller Zeiten erkoren. Die andere Retro gilt der 20th Century Fox, die sich wie wohl kein anderes Hollywood- Studio um den fantastischen Film verdient gemacht hat.

Wer an eine Zukunft glaubt, liegt sicherlich mit dem von „Splatting Image“ (Berliner Zentralorgan für den groben Film) zusammengestellten Programm richtig. Dort kommen die besten (oder schlechtesten) Werke aus der beliebten Rubrik „Jungmutationen“ zur Aufführung. Junge Gore-Fans halten mal die Kamera selbst drauf. Da leben nicht nur die Untoten noch, da zuckt die Knetmasse. Wenn auch hier die Ideen fehlen sollten, dann gibt es keine mehr.

„Fantasy Filmfest“, 4.–11.8. in Berlin, 11.–18.8. in Frankfurt a.M. und 18.–25.8. in Hamburg.