Furcht vor dem tadschikischen Beispiel

Mittelasiatische GUS-Staaten wollen den Bürgerkrieg auf einer Konferenz beenden / Auch Iran und Afghanistan haben kaum Interesse an einer Unterstützung der Regierungsgegner  ■ Von Ahmad Taheri

Frankfurt/Main (taz) – Am Amu Darja, dem tadschikisch-afghanischen Grenzfluß, wird weiter geschossen. Auf der einen Seite stehen tadschikische Regierungstruppen und russische Soldaten, auf der anderen Seite tadschikische Rebellen und afghanische Mudschaheddin. Wie einst die afghanischen Gottesstreiter von pakistanischem Boden aus gegen die Kabuler Kommunisten operierten, kämpfen nun die tadschikischen Mudschaheddin von afghanischem Boden aus gegen die Kommunisten in Duschanbe. Ihre Kämpfer rekrutieren sie aus den Flüchtlingslagern entlang des Amu, wo fast 70.000 Tadschiken leben.

Erst gestern sollen bei Luftangriffen erneut 60 Menschen ums Leben gekommen sein. So berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax von Angriffen der tadschikischen Luftwaffe auf im Süden des Landes gelegene Dörfer. Hier, in der Region Gorny Badachschan, würden rund 1.500 tadschikische Rebellen die einzige Verbindungsstraße zum übrigen Teil des Landes besetzt halten. Nach Berichten von Radio Kabul bombadierte die russische Luftwaffe Ziele in Nordafghanistan.

Moskau und seine mittelasiatischen Verbündeten sehen in den blutigen Scharmützeln an der Grenze eine ernsthafte Gefahr. Das tadschikische Bergland ist zur Achillesferse der GUS-Staaten geworden, wo die kommunistische Nomenklatura, wenn auch unter neuer Flagge, überall an der Macht ist. Als einziges der fünf mittelasiatischen Völker hatten die Tadschiken die Kommunisten gestürzt. Diese haben zwar die Macht zurückgewonnen, doch die Furcht vor dem tadschikischen Beispiel sitzt den Mächtigen in den GUS- Ländern noch immer in den Knochen. Es gibt zwar kein russisches Imperium mehr, doch Moskau betrachtet weiterhin die mittelasiatischen Staaten als seine politische Domäne.

Unruhen wie in Tadschikistan kann der Kreml nicht tatenlos hinnehmen. Vor wenigen Tagen rief der russische Präsident Jelzin die mittelasiatischen Staaten zu einer Gipfelkonferenz zusammen, um der Lage im tadschikischen Bergland gemeinsam Herr zu werden. Vier Moslemrepubliken, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan, haben ihre Teilnahme zugesagt. Ob bei diesem Treffen eine politische oder eine militärische Lösung angestrebt wird, muß man abwarten.

Doch an einer militärischen Auseinandersetzung, die sich leicht auf afghanischen Boden ausweiten kann, dürfte Moskau kaum interessiert sein. Außer den internationalen Komplikationen, namentlich in der islamischen Welt, kann sich der Kreml einen kostspieligen Waffengang angesichts eines wirtschaftlichen Desasters nicht leisten. So setzt Jelzin einstweilen auf die diplomatische Karte. Unlängst schickte der Staatspräsident den Chef seines Auslandsgeheimdienstes Primakow nach Teheran und Kabul, um die Regierungen in Iran und Afghanistan für eine politische Lösung des tadschikischen Bürgerkriegs zu gewinnen. Mit beiden Ländern sind die Tadschiken kulturell, religiös und ethnisch eng verbunden.

Inzwischen ist Primakow nach Moskau zurückgekehrt. Doch die Ergebnisse seiner Mission werden streng geheimgehalten. Als sicher kann jedoch gelten, daß weder die Iraner noch die Afghanen an der Zuspitzung und damit an der regionalen Ausweitung des tadschikischen Bürgerkriegs interessiert sind. Für die Kabuler Regierung gilt es in erster Linie, die eigene Macht gegen ihre fundamentalistischen Rivalen zu behaupten. Und den Teheraner Mullahs ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den GUS-Staaten vordringlicher als die Bruderhilfe für die muslimischen Rebellen am Pamir.

Doch der Einfluß der beiden Länder am Amu Darja ist sehr begrenzt. Die tadschikischen Rebellen und ihre afghanischen Waffenbrüder, die sich hauptsächlich aus fundamentalistischen Gruppen rekrutieren, hören weder auf Teheran noch auf Kabul. Einen bescheidenen diplomatischen Erfolg haben inzwischen die Russen erzielt: Kürzlich forderte die pakistanische Regierung Muhammad Scharif, Chef der tadschikischen Fundamentalisten auf, das Land zu verlassen. Seine Organisation, die Partei der Islamischen Wiedergeburt, verfügt über 20.000 gut ausgebildete Kämpfer.