Abtreibung im Finanzierungsdickicht

Jedes Bundesland entwickelt ein anderes Modell, um „bedürftigen“ Frauen den Schwangerschaftsabbruch zu finanzieren / Nur im Saarland existiert die soziale Indikation doch noch  ■ Von Karin Flothmann

Berlin (taz) – Seit sieben Wochen ist die in Karlsruhe gestrickte Übergangsregelung zum Abtreibungsrecht in Kraft. Seit sieben Wochen herrscht weitestgehend Verwirrung darüber, wie der Spruch der Verfassungsrichter nun auszulegen sei. Von Bundesland zu Bundesland werden derzeit andere Beratungs- und Finanzierungsmodelle entwickelt. Und dabei glänzen vor allem die SPD-regierten Bundesländer mit unterschiedlichen Vorstößen.

Im Vordergrund der Bemühungen steht vor allem die Finanzierungsfrage. Denn mit dem Karlsruher Spruch scheint vordergründig die Bezahlung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkassen gekippt. Frau muß also – soweit sie nicht unter die medizinische, kriminologische oder embryopathische Indikations-Ausnahmeregelung fällt – selbst in die Tasche greifen. Einzig Frauen, die aufgrund ihrer „sozialen Bedürftigkeit“ nicht selbst zahlen können, so das Urteil weiter, können nach dem Bundessozialhilfegesetz einmalige Sozial-„Hilfe in besonderen Lebenslagen“ erhalten, um den Abbruch durchzuführen.

Um die Finanzierung für „bedürftige“ Frauen zu klären, setzen die meisten SPD-Politikerinnen auf bürokratische Regelungen. Gerade in den Sommermonaten herrscht in vielen zuständigen Länderministerien Hochbetrieb. So hat das Land Brandenburg zusätzlich eine Millionen Mark zur Verfügung gestellt, um damit die sozialrechtlich festgelegte Einkommensgrenze von 850 Mark Nettoeinkommen für Frauen, die abtreiben wollen, auf 1.250 Mark aufzustocken. Frauen, die im Brandenburgischen nach Abzug ihrer Warmmiete nicht mehr als 1.250 Mark zur Verfügung haben, können die einmalige „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ zur Finanzierung ihrer Abtreibung beantragen.

Eine entsprechende Aufstockung des Sozialhilfe-Grundbetrags beabsichtigen auch alle anderen SPD-regierten Bundesländer. Spätestens nach der Sommerpause, so drängt NRWs Frauenministerin Ilse Ridder-Melchers (SPD), soll eine bundeseinheitliche Regelung der Kostenerstattung gefunden werden. Einzig Hessens Frauenministerin Inge Stiewitt (SPD) setzte sich voreilig in die Nesseln. Ohne vorherigen Kabinettsbeschluß verkündete sie, ab dem 1. August läge die Einkommensgrenze, bis zu der Frauen eine Abtreibung finanziert bekämen, in Hessen bei 3.000 Mark. Dann mußte sie ihren Vorstoß kleinlaut wieder zurückziehen. Aus rechtlichen Bedenken verständigte sich die rot-grüne Landesregierung auf „individuelle Einkommensgrenzen“ und stellte 1,75 Millionen Mark bereit.

Im Saarland wurde direkt beim Sozialministerium eine zentrale Anlaufstelle zur Finanzierung von Abtreibungen im Rahmen der Sozialhilfe eingerichtet. Gleichzeitig verweist allerdings vor allem die saarländische Frauen- und Sozialministerin Christiane Krajewski (SPD) darauf, daß das Karlsruher Urteil eben nicht – wie derzeit propagiert – die ehemals im Westen geltende soziale Indikation und deren Krankenkassenfinanzierung ausschließe. „Daß man auf die alte Regelung zurückgreift, scheint mir das Urteil nicht zu verbieten“, verlautet dazu auch aus Karlsruhe. Und JuristInnen halten einen Rückgriff auf die soziale Notlage, die gegebenenfalls von den Krankenkassen überprüft werden kann, für möglich.

Krajewski plädiert daher für eine Dreifachstrategie: „Frauen, die es sich leisten können, den Abbruch selbst zu zahlen, mögen es tun. Außerdem muß für diejenigen, die die Kosten nicht selbst aufbringen können, in jedem Fall eine menschenwürdige Auffangregelung im Sozialhilferecht geschaffen werden.“ Zum Dritten, so heißt es in einem entsprechenden Leitfaden des Ministeriums, könnten Frauen „versuchen, die Kosten von der Krankenkasse zu erhalten; das setzt aber voraus, daß Ihnen ein Arzt bescheinigt, daß sie sich in einer unzumutbaren Notlage befinden“. Ob ÄrztInnen eine solche Indikation überhaupt ausstellen, ist fraglich. Ärztekammer und Deutscher Ärztinnenbund gehen davon aus, daß die soziale Notlagenindikaiton nicht mehr existiert. Und auch die Krankenkassen haben sich schon festgelegt. So liegt für den Bundesverband der AOK auf der Hand, daß die Notlagenindikation gestorben sei.

Die Kieler Rechtsprofessorin Monika Frommel geht hingegen ebenfalls davon aus, daß ÄrztInnen jederzeit die soziale Notlagenindikation ausstellen könnten. Will eine Krankenkasse den folgenden Eingriff nicht bezahlen, könne die Frau auch noch nach der Abtreibung die Krankenkasse vor einem Sozialgericht verklagen.

In einem Schreiben an CSU- Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer und dessen FDP-Justizkollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte Krajewski schon Ende Juni eine entsprechende Klarstellung. Der Vorschlag werde derzeit geprüft, heißt es im Gesundheitsministerium. Genaue Vorgaben aus dem Hause Seehofer für Ärzte, Krankenhäuser und -kassen zum Umgang mit dem Urteil gibt es bis heute nicht.

Mit ihrem Vorstoß in Richtung Notlagenindikation steht Saarlands Frauenministerin allerdings innerhalb der SPD allein. Die SPD-Frauenministerinnen anderer Bundesländer halten sich eher bedeckt. Und Inge Wettig-Danielmeier, SPD-Schatzmeisterin und maßgebliche Wortführerin beim Zustandekommen des fraktionsübergreifenden 218-Gruppenantrags, hält die Forderung aus dem Saarland grundweg für „gefährlich“. Denn konservative Kreise drängen in Bonn längst schon wieder auf noch restriktivere Gesetze. Wettig-Danielmeier befürchtet daher, daß sich eine entsprechende Auslegung des Karlsruher Spruchs negativ auf die anstehende Gesetzgebung auswirken könnte.