Juristisches Flickwerk

Zwar steht das Grundrecht auf Asyl noch jedem zu, doch kaum ein Bewerber soll einreisen. Das Bundesverfassungsgericht befaßt sich mit Eilanträgen. Die Union verlangt Gesetzesverschärfungen, bei denen die SPD nicht mehr mitspielen will.

Vierzehn Eilentscheidungen vor dem Bundesverfassungsgericht haben für erhebliche politische Verwirrung gesorgt. Asylsuchende vom Frankfurter Flughafen begehrten Einreise in die Bundesrepublik, vier erhielten – zumindest vorläufig – dieses Recht. Während die Kritiker der neuen Asylgesetze die Hoffnung hegen, das Bundesverfassungsgericht könnte in den endgültigen Entscheidungen über die Verfassungsbeschwerden die neuen Regelungen kippen, redet die Union erneut der endgültigen Abschaffung des individuellen Asylrechts das Wort.

Was ist geschehen? Die vier erfolgreichen Kläger haben die Richter davon überzeugen können, daß die Verwaltungsgerichte zu Unrecht davon ausgegangen waren, daß sie in ihr „sicheres“ Herkunftsland zurückverfrachtet werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht stellt im Fall zweier Ghanesen (Ghana = sicheres Herkunftsland) fest: „Unmittelbar aus der Verfassung ergibt sich, daß der Ausländer die Möglichkeit haben muß, die Vermutung, er werde nicht verfolgt, für sich zu entkräften.“ Und weiter im Beschluß: „Dieser Prüfung konnte (soll heißen: durfte) sich das Verwaltungsgericht nicht allein mit dem allgemeinen Hinweis auf die Lage im Herkunftsland entziehen.“

Bei einstweiligen Anordnungen wird immer fingiert, daß die endgültige Entscheidung vollkommen offen ist. Aber ist sie das? Aus den Entscheidungen ist deutlich ablesbar, daß die Richter erhebliche Zweifel an der Regelung der sicheren Herkunftsländer hegen. Sie kritisieren, daß sich die Verwaltungsgerichte einfach auf die neuen Gesetze stützen, „sichere“ Herkunftsländer pauschal als solche akzeptieren und nicht mehr „einzelfallbezogen“ geurteilt hätten. Implizit fordern die Verfassungsrichter, daß die Gerichte die individuellen Fluchtgründe jedes Flüchtlings beurteilen müssen und sich nicht einfach auf die Liste angeblich verfolgungsfreier Länder beziehen dürfen.

Frühestens in vier Wochen ist mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen. Zwei Möglichkeiten haben die Richter, sollten sich die Zweifel manifestieren. Entweder sie verwerfen die ganze Regelung der Herkunftsländer, oder sie fordern eine „verfassungskonforme Auslegung“. In diesem Falle blieben die Gesetze und damit die Liste der sicheren Herkunftsländer zwar bestehen; die Verwaltungsgerichte müßten aber einzelfallbezogen urteilen – sicheres Herkunftsland hin oder her.

Die momentane Vorstellung, daß es nur die vier erfolgreichen Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht waren, denen die Einreise in die Bundesrepublik erlaubt wurde, um von hier ihr Asylbegehren zu verfolgen, ist falsch. Viele Flüchtlinge mußten nicht vor das oberste Gericht ziehen, weil sie bereits von den zuständigen Verwaltungsgerichten, die die ablehnenden Erstbescheide des Bundesamtes überprüft hatten, recht erhielten.

Die Regelung „sicherer Herkunftsländer“ ist nur eine umstrittene Facette der neuen Gesetzgebung. Prekär bleibt auch die Festlegung „sicherer Drittstaaten“. Danach werden Ausländer, die aus einem solchen Drittland kommen, sofort dorthin zurückgebracht. Weil das so ist, konnte diese Regelung bislang auch noch nicht vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Wo kein Kläger (weil abgeschoben), dort auch kein Gericht, was sich seiner annehmen könnte. Hans ten Feld, UNHCR-Vertreter in Bonn: „Uns bereitet diese Regelung Sorge.“ Dem Flüchtling müsse zumindest die Chance eingeräumt werden, „die Vermutung des sicheren Drittlandes zu widerlegen“. Nur eine Normenkontrollklage könnte die Regelung vor das Bundesverfassungsgericht bringen oder aber ein Flüchtling, der es bis ins Landesinnere der Bundesrepublik geschafft hat, dort einen Asylantrag stellt und zugibt, daß er oder sie über ein sicheres Drittland eingereist ist. Aber wer bringt diesen Mut auf?

„Wir werden weiter sehr aufmerksam die Entscheigungen der Gerichte im Auge behalten“, droht CSU-Generalsekretär Erwin Huber und meint die völlige Streichung des einklagbaren Asylrechts. „Wir stehen Gewehr bei Fuß“, formuliert er und meint eine institutionelle Garantie anstelle eines subjektiven Anspruchs. Dann entschiede staatliches Gutdünken über ein Bleiberecht der Flüchtlinge, nicht deren persönliche Notlage. Diese „juristisch sauberste Lösung“, so das bayerische Innenministerium, scheitert allerdings nicht nur am Widerstand der SPD. Das Grundgesetz selbst gebietet Einhalt. Zwar kann man Artikel 16a – „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ – mit einer qualifizierten Mehrheit streichen, aber es blieben dann immer noch die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes: der Schutz von Leib, Leben und Menschenwürde.

Da alle Flüchlinge sich genau auf diese Bedrohungen berufen, könnten sie über jene Artikel Schutz einklagen. Doch auch für diesen Fall hält die Union einen Rat parat: Kurzerhand wird Artikel 19, Absatz vier geändert, der jedem den Rechtsschutz garantiert.

Diese Änderung allerdings ist nach herrschender Meinung auch mit qualifizierter Mehrheit nicht zu machen. Denn die Rechtsschutzgarantie gehört zu den Grundpfeilern der Verfassung, die laut Artikel 79 überhaupt nicht geändert werden dürfen. Julia Albrecht