Mit Hamburgs Sport auf du und du
: Streng Vertrauliches für den ehemaligen Klassenfeind

■ Ein Trainer aus Potsdam will die frühere Schwimm-Hochburg Hamburg zu alter Herrlichkeit zurrückführen

Ein paar Erbstücke des real existierenden Sozialismus hat Harald Herberg mit in sein neues Büro gebracht. Im Regal stehen vergilbte Ordner und Taschenbücher mit Eselsohren. „Streng vertraulich!“ oder „Nur für den Dienstgebrauch!“ ist auf die Titelseiten der Schwarten gestempelt, die auf stark holzhaltigem Papier und in nostalgischer Schreibmaschinenschrift die gesammelten Heimlichkeiten der DDR-Schwimmtrainer enthielten: Methodik, Trainingslehre, Biomechanik.

Mit Hilfe dieser Anleitungen hat Harald Herberg in Potsdam den Langstreckenschwimmer Jörg Hoffmann zu zwei Weltmeistertiteln und einer Olympiamedaille geführt und sich damit auch den westdetuschen Schwimmhochburgen empfohlen. Seit knapp einem Jahr schlurft der 46jährige nun in Badelatschen mit Stoppuhr in der Hand am Beckenrand des Hamburger Dulsberg-Bades entlang, als Trainer am Olympiastützpunkt.

Als er vor zehn Monaten nach Hamburg kam, stand die jahrelange Hochburg vor einem Scherbenhaufen: Medaillenflaute in Barcelona, der Abtritt der Titelsammler Stefan Pfeifer, Niels Rudolph und Dagmar Zoller, dazu der Dopingfall Sven Hackmann, der letztlich auch die irgenwie peinliche Wahrheit an den Tag brachte, daß die klare Trennlinie zwischen den sauberen, also guten WestschwimmerInnen und den gedopten, also bösen OstschwimmerInnen stark verwässert ist

Nein, er will über Doping nicht mehr diskutieren, der Fall sei für ihn erledigt. Vorbehahlte und Vorurteile sind ihm, dem Ossi in Wessiland, genügend entgegengeschlagen. Daß er sich in seinem Büro mit ein paar Andenken an den Arbeiter- und Bauernsport umgeben hat, paßt auch nicht allen. Sandra Völker, eine der beiden verbliebenen Spitzenathletinnen, ließ ihn wissen, daß sie sich lieber von ihrem Freund trainieren lassen will.

Dabei sei er nun alles andere als ein DDR-Nostalgiker. „Ich bin nie in der SED gewesen. Und nachdem mein Bruder einen Fluchtversuch unternommen hatte, wurde ich auch aus den Reisekadern gestrichen.“ Jetzt muß er mehr reisen, als ihm lieb ist. Frau und Tochter leben immer noch in Potsdam.

Und er schwärmt von dem Gemüse aus dem Gewächshaus im eigenen Schrebergarten. „Ich kann dieses gespritzte Zeug nicht leiden“, sagt Herberg und bringt sich von jeder Fahrt nach Potsdam eigenes Grünzeug mit. Womöglich geht auch Heimweh durch den Magen. Er entschied sich für den Wechsel in den Westen, weil man ihm bei seinem alten Club, der früher Armeesportclub und jetzt OSC Potsdam hießt, nur einen Einjahresvertrag anbieten konnte, Hamburg ihn aber gleich bis 1996 engagierte.

Er kommt morgens um fünf Uhr - gelegentlich schweißgebadet von den elf Jogging-Kilometern zwischen seiner Wohnung in Sasel und seinem Arbeitsplatz - und er macht selten vor sieben Uhr abends Feierabend. Vierzehn Stunden täglich im feinen Chloraroma oder am Schreibtisch. „So komme ich nicht auch dumme Gedanken“, dagt der Mann aus Brandenburg und plaziert die braungebrannten Langläuferbeine auf dem Schreibtisch.

Nein, er findet nicht, daß er zuviel arbeite. Herberg soll in Hamburg die erschlaffte Nachwuchsarbeit reanimieren. Mühsam und zeitaufwendig sei das, harte Arbeit eben, für den Trainer ebenso wie für seine AthletInnen. Und er hat schon erfahren, daß diese Einstellung hierzulande nicht sonderlich populär ist: „Jeder will hier etwas verkaufen, jeder will sich vermarkten. Wenn ich mir die Leute im Westen so ansehe, frage ich mich, wie die hier in den fünfziger und sechziger Jahren ein Wirtschaftswunder auf die Beine gestellt haben.“O. Krohn