Die neue Hamburger Niedertracht

■ Ärgernisse in Hamburgs Gastronomie / Eine kleine Auswahl über Gesichtskontrolle, Sakkozwang und Pizzamaß

Stefan ist entsetzt. Sechs Jahre hat er aus Studiengründen in fremden Gefilden verweilen müssen. Jetzt ist er gerade zwei Wochen wieder in Hamburg. „So etwas blödes kannte ich bisher nur von einem längeren Auslandsaufenhalt in München!“, schimpft er jetzt. Der Anlaß: Ganz gemütlich ein Bier trinken wollte er neulich am Alsteranleger in einem Restaurationsbetrieb, der seinen Namen von einer Biermarke geliehen hat. Ein Mann in einem schwarzen Anzug mit leicht debilem Blick und etwas zu volkstümlichen Manieren machte ihn in Pförtner-Manier darauf aufmerksam, daß er mindestens ein Sacco tragen müßte, um das Lokal betreten zu dürfen. Selektion in Hamburger Restaurants, Kneipen und Diskotheken, das erschien Stefan ungewöhnlich. Schließlich wüßten die Hanseaten doch von selbst, welche Läden ihrem Stil entsprechen und welche nicht, meinte er.

Sein Befremden steigerte sich noch, als ich ihm vom „Traxx“ erzählte, einer Discothek, die sich in Teenie-Postillen als die angesagteste der Stadt feiern läßt. Und das nur mit der Begründung, daß an der Tür die „härteste Kontrolle“ von Hamburg herrscht. Da muß schon Papis Mercedes her, um auf dem günstig gelegenen Parkplätzen unmittelbar vor dem Eingang so richtig Eindruck zu schinden. Papis Kreditkarte wär' auch nicht schlecht, vor allem, wenn es die platinene von AmExCo ist. Wenn man dann in die heiligen Hallen durchgelassen wird, folgt die Ernüchterung. Im Tropfsteinhöhlen-Interieur wird betont ausgelassen zu betont langweiligen Mainstream-Klängen getanzt - von Exklusivität weit entfernt.

Ein Ärgernis für andere Leute, so vernahm ich es aus dieser Zeitung, ist es, wenn sich Menschen in die Öffentlichkeit begeben, um dort Speisen nicht ausschließlich zur Sättigung zu sich nehmen - etwa im Eisenstein in den leicht deplazierten Zeisehallen. Die Pizza ist vielleicht nicht sooo dick belegt, wie ein Redaktionsmitglied mit Fingermaß von dem quiche-ähnlichen Backwerk seiner Lieblingskaschemme behauptet. Das wäre aber auch zutiefst un-italienisch.

Auch an diesem Ort, wo man so hinreißende Pizzen zubereiten kann, wird man zuweilen von der neuen Hamburger Niedertracht heimgesucht. Etwa beim Versuch, kurz vor 17 Uhr, wenn die Abendkarte Gültigkeit bekommt, noch eine Bestellung aufzugeben. Grantig wird versprochen, daß die Bedienung gleich an den Tisch kommt. Bar jeden Zeitgefühls und nach drei weiteren Ersuchen läßt sich dann nach etwa 25 Minuten auch jemand sehen.

Man fühlt sich fast so wie die Readaktionskollegen, die im Entrée des Schmidts mit Berliner Gästen zu nächtlicher Stunde einen Umtrunk hatten. Obwohl die Getränke gerade einmal frisch serviert waren, wurde ihnen mit dem unwiderstehlichen Charme, den man eigentlich nur von HO-Gaststättenbedienungen kennt, nahegelegt, unverzehrten Getränkes die Lokalität zu verlassen, da die Schicht vorbei sei. Kiezkultur. kader