„Der Hamburger SV ist nicht kreditwürdig“

■ Ein Gespräch mit HSV-Manager Heribert Bruchhagen über Fans, Finanzen, Fußballerisches

taz: Herr Bruchhagen, kann der HSV allen Ernstes in der kommenden Saison einen UEFA-Cup-Platz erreichen?

Heribert Bruchhagen: Wir haben etwas Phantasie durch die Bestrebungen der UEFA bezüglich der Aufwertung der Intertoto-Runde entwickelt. Zur Erklärung: Normalerweise berechtigen die Plätze eins bis fünf für einen UEFA-Cup-Platz oder, wenn sich der Pokalsieger unter den ersten Fünf befindet, noch Platz sechs. Nun gibt es vier weitere Plätze über die Intertoto-Runde. Dafür werden dann die Teilnehmer 7, 8, 9 und 10 gemeldet. Der Sieger der Intertotorunde bekommt dann einen UEFA-Cup-Platz. Das gibt dem HSV neue Chancen. Mit einem sechsten Platz zu liebäugeln, ist in der momentanen Situation vollkommen unrealistisch.

taz: Welche Chancen hat der HSV überhaupt?

H. Bruchhagen: Die Spitzenplätze, die durch die UEFA-Cup-Qualifikation und den damit verbundenen Fernseheinnahmen mehr und mehr zementiert werden, erreichen wir mit unserem Etat von etwa 17 Millionen Mark nicht. Es wäre vermessen, zu glauben, daß man etwa einen Verein wie Borussia Dortmund mit saisonalen Aufwendungen in Höhe von 40 Millionen Mark hinter sich lassen könnte. Das ging in der Vergangenheit mal, als die Differenz zwischen dem Spitzenverein HSV mit 10 Millionen Mark und einem Verein mittlerer Kategorie, etwa Fortuna Düsseldorf (7,5 Millionen Mark Etat) geringer war. Dennoch können wir gegen Bayern und auch Dortmund gewinnen. Aber vier Vereine werden schon allein aufgrund ihres höheren Etats vor dem HSV liegen. Andererseits hat sich der HSV durch seinen Etat auch nach unten abgesichert.

taz: Hat denn der HSV jemals wieder die Chance, ein europäischer Spitzenclub zu werden, wie ehedem?

H. Bruchhagen: Der Anspruch, der in dieser Stadt an uns gestellt wird, ist natürlich immens hoch – daraus werden wir auch nicht entlassen. Eine Perspektive sehe ich nur über den Weg der kleinen Schritte, wie das, was Karlsruhe in der vorigen Saison gemacht hat. Etwa: Wenn zum Beispiel Eintracht Frankfurt, wider allen Erwartungen, eine schlechte Saison ablegt, so wie der Deutsche Meister VfB Stuttgart in der vorigen Spielzeit, dann ist eben ein sechster Platz auch mal für eine Mannschaft der mittleren Kategorie erreichbar. Und mit den Einnahmen aus den Europäischen Wettbewerben kann dann der Etat entsprechend erhöht werden.

Man kann aber auch den Weg gehen, daß man sich junge Talente holt und sie zu fertigen Spielern formt. Wir haben die jüngste Mannschaft der Bundesliga.

„Ein sechster Platz ist unrealistisch.“

taz: Also sind vorerst keine größeren Investitionen für die sportliche Expansion zu erwarten?

H. Bruchhagen: Das geht gar nicht. Wir sind einfach nicht kreditwürdig. Bislang hat sich der HSV nur verschulden können, weil er auf der anderen Seite Immobilien hatte, hier an der Rothenbaumchaussee, in der Sierichstraße und so weiter. Die mußten alle veräußert werden. Hätten wir das alles noch, wären wir ein hochvermögender Verein mit 50 oder mehr Millionen.

taz: Die Verstärkungen, die sich der HSV für die kommende Saison geholt hat, gelten in diesem Geschäft mit Fußballern als Markenartikel mit leichten Macken.

H. Bruchhagen: Das ist nun unsere Crux. Wir müssen uns die Spieler sichern, an denen die großen Vereine kein Interesse haben - aus unterschiedlichen Motiven heraus. Michael Kostner und Andreas Sassen sind sicherlich Spieler, die nicht aufgrund ihres Leistungsvermögens nicht im oberen Marktsegment stehen, sondern wegen ihrer Individualilität. Das Risiko müssen wir eingehen.

taz: Verstärkungen wurden günstig eingekauft, doch ihr Ziel, den Kader zu verkleinern, das haben sie nicht erreicht.

H. Bruchhagen: Wir haben eine ganz erfolgreiche Transferpolitik gemacht. Wir haben die drei ältesten Spieler verkauft. Das ist eine Sensation! Uns ist es indes nicht gelungen, Spieler, die noch laufende Verträge haben, auf dem Markt zu plazieren. Aber das hängt damit zusammen, daß sie bei Trainer Möhlmann nicht einmal auf der Reservebank sitzen.

taz: Können Sie denn zumindest mit dem Vorverkauf zufrieden sein?

H. Bruchhagen: Ja sehr. Wir sind in diesem Jahr weiter als wir voriges Jahr waren. Die teuren Karten laufen wie geschmiert.

taz: In den Vorverkauf-Charts steht der HSV dennoch ganz unten.

H. Bruchhagen: Das ist Hamburger Tradition. Selbst als Europacup-Sieger standen wir nicht besser da. Es haben halt 60 000 Platz, und das Stadion ist allenfalls einmal im Jahr gegen den FC Bayern München ausverkauft. Mit dem FC St. Pauli kann man das nicht vergleichen, schon allein wegen der geringeren Kapazität des Wilhelm-Koch-Stadions. Obwohl: Ein toller Verein, ich gehe auch gerne hin und guck mir die Spiele an, aber es ist ein Konkurrenzverein und wir freuen uns über jeden Kunden, den wir ihnen wegnehmen können.

taz: Um sie ins von ihrem Präsidenten Hunke ungeliebte Volksparkstadion zu locken?

H. Bruchhagen: Herr Hunke ist ein politischer Mensch und möchte durch seine Äußerungen auf die Parlamentarierer immer wieder Druck ausüben. Der Tatbestand ist der: Dieses Stadion ist nicht mehr marktgerecht. Das machen auch die Äußerungen von Egidius Braun, DFB-Präsident, deutlich, der sagt: Hamburg bekommt im Mai sein letztes Länderspiel, danach ist Schluß. Ich gehe nicht so weit, zu sagen, das ist nicht zumutbar. Für jemanden, der sich für Fußball interessiert, ist das egal, ob er ganz komfortabel sitzt oder auf einer Holzbank. Entscheidend ist, daß er das Erlebnis Fußball hat. Die VIP-Karte kostet 2500 Mark. Stellen sie sich das Äquivalent vor, wir lassen Jugendliche für 65 Mark die Saison ins Stadion. Wir haben den Preis gesenkt. Wir können 60 Jugendliche zum Preis einer VIP-Karte ins Stadion kommen lassen, also für einen, der in diese VIP-Räumen reinkommt. Wir brauchen aber das Geld derjenigen, die gerne kommod sitzen wollen.

taz: Wer wird ab Oktober im Chefsessel des Vereins sitzen, Ronald Wulff oder aber doch wieder Jürgen Hunke?

H. Bruchhagen: Soviel er mir erzählt hat, hört Jürgen Hunke auf. Herr Wulff ist Präsidiumsmitglied, und ich arbeite ganz gut mit ihm zusammen, der Rest wird sich dann zeigen. Wie man weiß, arbeite ich mit Hunke sehr gut zusammen.

„Häufig agieren Herr Hunke und ich konträr“

taz: Wirklich? Seit gestern ist klar, daß der HSV nun die Ablösesumme für Stig Töfting bezahlen will, statt den dänischen Verband wegen der Nichtüberweisung des Geldes von einem Weitertransfer von John Jensen zu Arsenal London zu düpieren, wie sie es wollten.

H. Bruchhagen: Das ist richtig, und es kommt auch häufig vor, daß wir in Entscheidungen konträr agieren, aber nach außen hin gelingt es uns, sehr gut einheitlich zu verfahren, und ich hab ein sehr gutes Verhältnis zu ihm, weil wir in der Zielsetzung, nämlich die Finanzen zu konsolidieren, einig sind.

taz: Herr Hunke gilt als Exzentriker, so wurden sie jedenfalls zitiert. Das trifft auch auf ihren vormaligen Chef Eichberg bei Schalke 04 zu. Arbeiten sie gerne mit Exzentrikern zusammen?

H. Bruchhagen: Habe ich das wirklich gesagt? Ich bin der Meinung, ich hätte exotisch gesagt. Mit Eichberg habe ich schon vor 30 Jahren in der Jugend zusammen Fußball gespielt, ich habe das Gymnasium länger als er besucht. Seit dreißig Jahren pflege ich schon ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Nach dreieinhalb Jahren waren dann bei unserer gemeinsamen Arbeit auf Schalke die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Und mit Hunke - ich habe nun einmal die beiden Präsidenten gehabt, die nun –ich möchte bei dem Wort bleiben – am exotischsten sind. Aber ich bin mit beiden ganz gut klargekommen.

taz: Ein anderes Problem scheint beim HSV ein Teil der Fans zu sein. Souleyman Sane, der in Wattenscheider Diensten stehende Senagalese, hat sich unlängst darüber beklagt, daß die rassistischen Sprüche in keinem anderen Stadion der Republik so schlimm sind wie im Volksparkstadion.

H. Bruchhagen: Das ist sein Empfinden. Das bedeutet aber nicht faktisch, daß das so ist.

taz: Aber selbst eigene Spieler schwarzer Hautfarbe wurden dort schon mit Schmähungen bedacht – ich denke an Emerson in der Saison 1991/92.

H. Bruchhagen: Jede einzelne Entgleisung ist tragisch und fürchterlich. Ich wehre mich aber dagegen, daß sie aufgrund der Aussage von Sane, die den HSV als besonders schlimm darstellt, das zum Faktischen machen wollen. Jede Entgleisung würden wir, wenn wir ihrer habhaft werden, sofort mit Stadionsperre belegen.

taz: Da gibt es aber noch Äußerungen ihres Torwarts Richard Golz, der als politisch engagierter Mensch gilt, daß sich die Führungs etage des Vereins einfach nicht um das Thema kümmere.

H. Bruchhagen: Das ist arrogant von Richard, so etwas zu behaupten. Ich war früher einmal Gymnasiallehrer und habe schon ganz anderen Aktionismus, ich sage lieber: Veranstaltungen zum Thema Ausländerintegration gemacht, die der vom zeitlichen Aufwand gar nicht kann. Es steht ihm überhaupt nicht zu, leitende Mitarbeiter des HSV, oder mich in meiner Eigenschaft als Manager des Vereins in Frage zu stellen. Dafür ist der noch viel zu jung, und dafür weiß er viel zu wenig von dem, was wir tun. Er hat sehr leichtfertig über andere gesprochen.

taz: In einem früheren Gespräch mit Ihnen äußerten Sie, daß es arrogant von Ihnen wäre, sich als Korrektiv gegenüber den Westkurvenfans zu verhalten, aufgrund Ihrer gesellschaftlichen Rolle als Spitzenverdiener im Vergleich zu der gesellschaftlichen Abstammung der Westkurvenklientel.

H. Bruchhagen: Da laß ich mich nicht so drauf ein! Tatsache ist: Durch oberlehrerhaftes Verhalten erreiche ich nichts. Gar nichts. Ich gehe häufiger zu Fanveranstaltungen und werde dort mit aggressiven rechtslastigen Aussagen konfrontiert. Mit Gelassenheit und Hinweisen auf die Gemeinschaftsaspekte, die ein solcher Fanclub hat – eben das Bewahrende einer solchen Institution – ist für die soziale Chance des einzelnden wichtiger, als daß ich die Konfrontation zu ihnen suche, sie vom Verein wegtreibe und ihnen das Gemeinschaftserlebnis HSV auch noch nehme. Oftmals haben sie keine Arbeit, oftmals haben sie kein soziales Umfeld, in dem sie einen Freundeskreis haben. Sie erzählen mir, daß sie zum ersten Mal ein Wir-Gefühl entwickeln, wenn sie etwa im Auto sitzen und nach Karlsruhe runterfahren. Wenn ich sie wegen ihrer teilweise dümmlichen Meinungsäußerungen attackieren würde, werfe sie also aus dieser Gemeinschaft raus. Ich verspreche mir mehr von einer Politik der kleinen Schritte.

taz: Die Hooligans sind aber meistens nicht in den Fanclubs organisiert.

H. Bruchhagen: Ich geh auch zu den Hooligans. Die haben auch ein Wir-Gefühl – auch eine Gruppendynamik, ganz sicher.

taz: Aber meistens erst aus der Aktion heraus.

H. Bruchhagen: Trotzdem. Ich bin sicher, daß ich natürlich nicht die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht ändern kann. Sicher bin ich, daß ich für diese Jugendliche den richtigen Weg einschlage, in dem ich ihnen im kleinen Rahmen aufzeige, daß der HSV sportliche Reize zeigt, und versuche, ihnen den Begriff des Sportsgeists, des Fairplays näherzubringen, anstatt ihnen aggressiv zu begegnen.

„Wir wehren uns gegen den Vorwurf der Rechtslastigkeit“

taz: In einigen Stadien ist das Tragen der Reichskriegsflagge verboten, beim HSV gehörten Aufnäher mit einem Emblem dieser Colour zum Fanshopsortiment.

H. Bruchhagen: Das Tragen der Reichskriegsflagge ist auch im Volksparkstadion verboten – selbstverständlich. Ich kann mich nicht dagegen wehren, daß fliegende Händler solche Motive verkaufen, aber derjenige, der in unseren Namen Handel mit Devotionalien treibt, würde sofort seine Lizenz verlieren.

taz: Ja wirklich?

H. Bruchhagen: Nehmen sie bitte zur Kenntnis: In Abgrenzung zum FC St. Pauli unterstellt man uns immer eine gewisse Rechtslastigkeit. Es ist geradezu hanebüchend. Natürlich sind wir ein bürgerlicher Verein, und das Bürgertum wird immer in eine andere Ecke gerückt. Ich bin sicher, daß sie mich aus diesen Vorurteil nicht entlassen werden, warum auch, aber es ist Quatsch. Richard Golz etwa unterscheidet sich in keiner Weise in seiner politischen Haltung von den anderen Spielern. Nur weil sie sich nicht so wie er öffentlich äußern, sind sie nicht weniger liberal, sind sie nicht weniger ausländerfreundlich. Es gibt keinen graduellen Unterschied. Auch zwischen mir und Richard Golz nicht. Wir denken alle so, auch Möhlmann und Magath. Was Richard gesagt hat, ist eine dermaßene Arroganz, die auch schon wieder eine Form von Aggressivität ist..

Das Gespräch führte Kai Rehländer