Es ist was tanzfaul im Lande Bremen

■ Gut aufgelegt — Discjockeys (4): Kolja Bäcker rockt das House

Da hat er sich ein schönes Pflaster ausgesucht. „Deutschland ist ja eigentlich Disco-Provinz, was House-Musik angeht“, sagt Kolja Bäcker. Und Bremen? „Das Publikum ist ja sehr tanzfaul hier.“ Sonst noch was? „Was in Bremen fehlt, ist überhaupt mal ein richtiger House-Club.“ Ja, was hält ihn denn überhaupt hier? Eben das: die Bremer zum Tanzen bringen, einen Club aufmachen und das House rocken.

Wehmütigen Blicks schaut Bäcker da auf die umtriebige House-Gemeinde, wie sie in den Staaten oder jenseits des Kanals zusammenkommt. Allein die großen, hübsch maroden Hallen; dann die nächte- und tagelange Tanzerei; schließlich die Blechbläser und Percussionisten, die den Party-Sound aus der Konserve mit Lebendigem nochmals aufpeppen und die Party anheizen — davon können Bremer DJs nur in stillen Nächten träumen.

Kolja aber muß zunächst mit jener Disco-Tiefgarage unter den Gewölben der Liebfrauen-Kirche vorlieb nehmen, die derzeit auf den Namen „Delight“ hört. Und wo er nur einmal im Monat den universalen House-Sound auf kleinstem Raume entfesseln darf. Aber Kolja ist geduldig und sowieso erst am Anfang seines DJ- Lebens.

Schwarze Musik hört und liebt er zwar, seit er mit 14, 15 Jahren auf den Soul kam. Aber seine Liebhaberei zum Job zu machen — kein Gedanke. Erst nach der Ausbildung, als Industriemechaniker bie der Bundesbahn, kam ihm der Gedanke, doch lieber „was Unabhängiges zu machen“, vor allem jenseits der verdrießlich festen Arbeitszeiten. Ein Abend als Aushilfs-DJ im Aufwärmprogramm des Bremer „Drome“ reichte dann aus, um auf den Arbeitstakt des Nachtmenschen umzusteigen.

Nicht daß das DJ-Los ein leichteres sei. Die teils schweren House-Grooves muß sich Kolja von Berufs wegen praktisch täglich um die Ohren hauen. Die Neuerscheinungen, mit Mutters geliehenem Auto aus dem Hamburger Import-Laden „Container“ nach Bremen geschafft, hört und mixt er nachmittags und abends zusammen, da sind sieben Stunden nichts — „das ist wie 'ne Sucht“. Testprogramm für den Party-Ernstfall — dann aber geht es nicht nach bereits ausprobierten, gebrauchsfertigen Mixturen, sondern nach Lust und Laune.

„Am Abend entscheide ich immer spontan, was ich auflege", sagt Kolja. „Ich experimentiere viel, stell' mich aber vor allem auf das Publikum ein.“ Anders als beim artverwandten Tekkno-Gehacke, das sich in Bremen größerer Beliebtheit erfreut, fallen im House- Repertoire auch gemäßigtere Tempi, ja: balladeske Stücke mit wunderschön weichen Harmonie- Gesängen an — „im House-Bereich gibt es soviele gut ausgebildete Gesangsstimmen, weibliche wie männliche." Auch und gerade die spielt Kolja im Wechsel mit den exzessiveren Party-Grooves: „So ein Abend muß wie eine Welle ablaufen, mit Höhen und Tiefen.“ Thomas Wolff